Der Frauenjäger
Kopf auf. Manchmal wurde sie es über Stunden nicht los, wie ein Endlostonband, auf dem sich nur ein einziges Lied befand.
Die jeweiligen Melodien oder Rhythmen spielten keine Rolle. Es waren die Worte, die sie verfolgten und ihr zu schaffen machten. Oft genug riefen sie diese Trostlosigkeit hervor, für die es keine rationale Erklärung gab, die sich ohne ersichtlichen Grund binnen kürzester Zeit in abgrundtiefe Trauer verwandeln konnte.
Schon aus dem Grund waren ihr englische Schlager lieber als deutsche. Von englischen verstand sie längst nicht alles, übersetzte nach eigenem Gutdünken und füllte die Lücken so, wie es ihr passend erschien. Ihr Schulenglisch war mangelhaft, weil sie es seit Jahren nicht einmal mehr brauchte, um den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen.
Werner sprach fließend Englisch, ebenso Französisch, Spanischund Italienisch. Derzeit lernte er Schwedisch – im Akkord. In schätzungsweise zwei Monaten beherrschte er die Sprache wahrscheinlich fast so perfekt wie ein Einheimischer. Er hatte beruflich oft im Ausland zu tun und wollte verstehen, was in seiner Nähe gesprochen wurde. Und er konnte das eben, wie er alles konnte, was er sich vornahm oder anpackte. Als Nächstes würde er vielleicht Finnisch, Russisch, Türkisch, Japanisch oder Chinesisch lernen. Und irgendwann wäre Werner Weißkirchen der erste Mensch, der sich weltweit verständigen konnte.
Er brüstete sich nicht mit dem Talent, sich Fremdsprachen quasi einzuverleiben wie andere einen Teller Suppe. Er bildete sich auch nichts ein auf seine diversen anderen Fähigkeiten oder seinen beruflichen Erfolg. Aber er freute sich, wenn Marlene anklingen ließ, sie sei sehr stolz auf ihn.
Das war sie – gar keine Frage. Werner war ein Prestigeobjekt, von Anfang an der Garantieschein für eine sorglose Zukunft gewesen. Einer von den zeitlos gutaussehenden Männern, denen die Karriere wahrscheinlich unmittelbar nach der Geburt direkt unter den Haaransatz tätowiert worden war, um die man von Freundinnen glühend beneidet wurde. Wenn nicht sofort, dann eben später. Früher war es oft ein Triumph gewesen, am Samstagabend an seiner Seite bei den anderen zu erscheinen oder die Gastgeberin zu spielen. Inzwischen war es ihr oft unangenehm, fast ein wenig peinlich. Weil die anderen, speziell Ulla, es doch erheblich schlechter getroffen hatten.
Ulla und Matthias
Ulla war die Jüngste von ihnen und hatte das meiste Pech gehabt. Bei der Hochzeit war Matthias Kranich noch Verkäufer in der Herrenabteilung bei C&A gewesen, wollte es aber entschiedenweiterbringen. Das wollten sie letztlich alle, und nur Andreas Jäger dachte dabei an Entfernungen.
Leider konnte man die Pläne, die Matthias schmiedete, nicht solide nennen. Bei ihm war nicht die Rede vom eigenen Haus und dem eigenen Geschäft, es mussten eine Villa und eine Ladenkette sein. Nach der pompösen Triplehochzeit begnügte er sich für den Anfang allerdings mit einer Mietwohnung.
Zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes machte sich Matthias zum ersten Mal selbständig, eröffnete eine italienische Herrenboutique. Was sich noch mit seiner Ausbildung vereinbarte, in einer Kleinstadt mit großem Einkaufscenter am Ortsrand nur nicht so florierte, wie er sich das erhoffte. Nach vier Jahren gab er auf.
Diese Pleite trug Ulla mit Fassung, obwohl Matthias nicht mal Arbeitslosengeld bekam und ihr Sohn Thomas – gerade eingeschult – Lernschwierigkeiten hatte. Es musste jeden Nachmittag einer mit ihm üben. Matthias war dazu nicht imstande, schickte den Jungen lieber zum nächsten Bolzplatz und ergab sich vor laufendem Fernseher in sein Elend.
Damit sie nachmittags zur Stelle war, konnte Ulla sich nur um einen Halbtagsjob bei ihrem früheren Arbeitgeber, dem Autohaus Hilscher, bemühen. Aber ihre Eltern waren vermögend und unterstützten sie. So kamen sie einigermaßen über die Runden.
Dann starb Ullas Vater, sie erbte, und Matthias überredete sie, den Halbtagsjob aufzugeben und ins zweite eigene Geschäft zu investieren. Diesmal probierte er sein Glück mit Sportartikeln, hauptsächlich Fahrräder. Die hätten Zukunft, behauptete er. Da mochte er mit Blick auf Umweltschutz und Fitnesswelle sogar recht haben. Nur hätte er die richtige Ware anbieten müssen.
Als er Ende 2001 zum zweiten Mal Konkurs anmeldete, standenin seinem Lager etliche Rennmaschinen, an denen Männer wie Christian Henn und Erik Zabel ihre helle Freude gehabt hätten. Für Otto Normalverbraucher waren sie
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