Der fremde Pharao
Augen hinter den langen Wimpern blickten hoch, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen standen voller Tränen.
»Wenn du es mir befiehlst, so werde ich für dich kämpfen, Fürst«, sagte er mit erstickter Stimme, »aber ich reise nicht in die Nomarchen und helfe dir, den Augenblick unserer Vernichtung noch zu beschleunigen. Ich erniedrige mich vor dir. Ich demütige mich vor dir. Aber ich reise nicht.«
Seqenenre kämpfte mit seinem Ärger und dem überwältigenden Gefühl, verraten zu sein. Doch seine Zuneigung siegte. Er zog Si-Amun hoch.
»Nun gut«, sagte er knapp. »Ich ehre deinen Entschluss, weil ich weiß, dass mein Sohn nicht aus Feigheit so spricht. Verlass diesen Raum.« Unglücklich stand Si-Amun auf, stolzierte an dem schweigenden Kamose vorbei und trat nach draußen. Eine kurze Weile mochten sich Seqenenre und Kamose nicht ansehen. Dann reckte Kamose die Schultern.
»Er ist sehr mutig«, gemahnte er seinen Vater. »Und er ist ein guter Krieger. Du darfst ihm das nicht übel nehmen.«
Seqenenre war gekränkt und getroffen und gab keine Antwort.
»Dann reise ich in die Nomarchen und hebe Männer aus«, sagte Kamose jetzt grimmig, »aber, Vater, ich glaube, du bist nicht ganz bei Trost. Wie lange dauert es wohl, bis deine Unbesonnenheit dem Einzig-Einen zu Ohren kommt? Eins steht fest, er hat auch hier im Haus seine Spione. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, du würdest statt des Heeres einen Tempel aufstellen. Ich möchte nicht sterben.«
»Ich habe schreckliche Angst um uns alle«, erwiderte Seqenenre, »aber du besitzt eine innere Stärke, die dich niemals im Stich lassen wird. Mir tun vor allem Ahmose und Aahmes-nofretari Leid.« Kamose kniff die Lippen zusammen. Er war unter seiner tiefen Bräune ganz blass geworden.
»Und wie willst du das alles bezahlen?«
»Ich muss Uni ins Vertrauen ziehen. Und Amunmose. Er muss Amun um den größten Gefallen bitten, den er dieser Familie jemals erwiesen hat.«
»Warum kletterst du nicht mit einem Horn auf das Dach des Heiligtums und verkündest ganz Waset, was du vorhast?«, entgegnete Kamose bissig. »Dazu kommt es ohnedies, Vater, und das weißt du. Du musst sehr schnell handeln, wenn du noch etwas bewirken willst, ehe Apophis einen Bruchteil seiner Horden nach Süden schickt und uns alle vernichtet.«
»Wirst du mir helfen?«
Kamose ballte die Fäuste. »Aber gewiss doch. Auch in meinen Adern fließt das Blut des Gottes.«
Seqenenre warf ihm einen eigenartigen Blick zu. Es war das erste Mal, dass Kamose direkt auf seine Herkunft angespielt hatte. Ich kenne dich kaum, dachte Seqenenre. Ich kenne dich so gut wie gar nicht.
Si-Amun bemühte sich um Selbstbeherrschung, als er zu seinen Gemächern zurückging, und beantwortete im Dahinschreiten freundlich den Gruß der Dienstboten. In seinem Kopf drehte sich alles. Warum bist du so überrascht?, fragte er sich streng. Du hast doch gewusst, dass es so kommen würde, sonst hättest du nie die Abmachung mit Teti getroffen. Warum bist du dann so benommen und kannst es nicht fassen? Hast du dir eingebildet, dein Vater würde aus seinen Tagträumen erwachen?
Si-Amun hatte seit seiner Rückkehr nach Haus noch keine Verbindung mit Teti aufgenommen. Das Leben war scheinbar in seine gewohnten Bahnen zurückgekehrt, und sein Vater hatte sich wie üblich ausgeschwiegen. Und so hatte sich Si-Amun mit einem eigenartigen Gefühl von Erleichterung treiben lassen und die Erinnerung an das Mittagessen mit Teti unter dem Feigenbaum ausgelöscht, doch als er jetzt seine Tür erreichte, kehrte sie entsetzlich klar zurück. Warum entsetzlich?, dachte er, als sein Haushofmeister auf ihn zutrat und sich verbeugte. »Bring mir ein Blatt Papyrus und eine Schreibpalette«, befahl er dem Mann, und der entfernte sich.
Si-Amun zog den Schurz aus, dann riss er das Laken von seinem Lager und fing an, seinen schweißfeuchten Körper trocken zu reiben. Entsetzlich, weil du an Tetis guten Absichten zweifelst, sagte er sich. Ich habe die Worte ausgesprochen. Ich bin nicht töricht. Vielleicht will Teti, dass ich meinen Vater für seine Ziele ausspioniere. Vielleicht ist er auch aufrichtig. Wir sind durch meine Mutter verwandt. Er ist unserer Familie immer ein guter Freund gewesen, und ich kann mich nicht auf mein Unbehagen verlassen, das gewiss nur Schuldgefühl ist, weil ich etwas hinter dem Rücken meines Vaters tue. Man muss Vater aufhalten, und Teti ist der Einzige, an den ich mich wenden kann. Großmutter würde Apophis die
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