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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Ellenbogen auf die knochigen Knie gestützt. Der Rauch kräuselte sich vor seinen Augen. Ob es wohl so anfing?, überlegte er. Mit trüben Schlieren vor den Augen, die einen verwirrten, so dass man noch einmal genauer hinsah. Er musste daran denken, wie sein Vater etwas über seine Augen vor sich hin gemurmelt hatte und darüber, dass er eine Brille brauche, mit der er wie der typische zerstreute Professor aussehen werde. Unsinn, hatte seine Mutter mit schrillem Lachen gesagt und seinem Vater die Arme um den Nacken gelegt. Eine Brille sei doch sexy, und überhaupt werde er nie im Leben typisch aussehen. Sonst hatte sie seinen Vater zu jener Zeit meist ignoriert oder ihn grundlos angefahren. Sein Vater war jedenfalls nie zum Augenoptiker gegangen.
    »Die Erwachsenen spinnen«, sagte Max und stieß den Rauch aus, plötzlich peinlich berührt, weil er Selbstgespräche führte. »Hau ab, Ding!«, brüllte er zur Decke des Schuppens hinauf. »Dich gibt’s ja gar nicht! Du hast keine Macht über mich!« Die Stille, die darauf folgte, diese beunruhigende, unnatürliche Stille in seinem Kopf, war beinahe noch schlimmer als die Stimme des Dings. Sie war so deprimierend wie die Dunkelheit, die seinen Vater jeden Tag beim Aufwachen umgab. Vor dieser Stille gab es kein Entrinnen.
    Für kurze Zeit hatte er gedacht, er könne sich ebenso fortpflanzen wie ein Apfelkern. Doch nun war selbst diese Hoffnung dahin, denn Dayna würde abtreiben.
    Max weinte stundenlang um sein ungeborenes Kind.

Freitag, 1. Mai 2009

    C arrie glaubte sterben zu müssen, als sie Max sah. Da war er, überlebensgroß, mit diesem schwachen Lächeln, das zu sagen schien: Ach, Mum, lass mich doch in Ruhe, und in dem zugleich eine unendliche Sehnsucht nach ihr lag. Eine Sehnsucht, die nie gestillt worden war, denn sie hatte ihn nie richtig wahrgenommen – seinen ausdrucksvollen Mund, seinen flehenden Blick, die Haut, glatt wie die eines Kindes. Dabei hatte er immer älter und reifer gewirkt, als er war, mit einer gespielten Härte, die, wie sie jetzt wusste, überlebenswichtig für ihn gewesen war.
    Nachmittags kam er von seiner neuen Schule nach Hause geschlurft, plünderte den Kühlschrank oder hörte so laut Musik, dass sie in ihrem Arbeitszimmer keinen klaren Gedanken fassen konnte. Überall im Haus lagen seine Sachen herum, und morgens roch das ganze Obergeschoss nach seinem billigen Deo. Er sprach kaum ein Wort mit ihr, und wenn, war er abweisend und aggressiv zugleich. Selbst ein Gespräch über das Mittagessen in der Schule konnte im Streit enden.
    »O Gott, Max, ich vermisse dich so.« Carrie sank vor dem riesigen Bild ihres Sohnes, das die Studiokulisse bildete, in die Knie. Wie unerträglich war der Gedanke, dass vor einer Woche alles noch normal gewesen war. Und dann kam der Anruf …
    »Nicht, Schätzchen.« Plötzlich war Leah neben ihr, während um sie herum die Soundchecks liefen, Scheinwerfer aufleuchteten und wieder erloschen – die Techniker taten ihre Arbeit wie jeden Freitagmorgen, als sei diese Show reine Routine.
    »Warum habt ihr ihn hier hingehängt?« Carrie weinte. Das hätte sie natürlich jetzt, weniger als eine Stunde vor Sendebeginn, nicht tun dürfen, doch sie konnte sich nicht beherrschen. Dann musste die Maskenbildnerin sie vor ihrem Auftritt eben noch einmal zurechtmachen.
    »Wir wollten, dass die Zuschauer ihn sehen, Liebes. Vielleicht erkennt ihn jemand oder erinnert sich an etwas. In dieser Show geht es ja nicht nur darum, diese sinnlose Gewalt anzuprangern, sondern vor allem darum, seinen Mörder zu finden. Du weißt doch, wie Dennis und sein Team arbeiten. Sie brauchen uns ebenso sehr wie wir sie.«
    »Tut mir leid, dass ich mich so albern anstelle.« Carrie richtete sich auf und putzte sich die Nase.
    »Bist du sicher, dass du das hier machen willst?«
    »Ich könnte nicht weiterleben, wenn ich es nicht täte. Ich muss alles tun, was in meiner Macht steht.«
    Leah nickte. »Dann komm mit in die Maske. Danach musst du auf die Bühne für die Soundchecks.«
    Langsam ging Carrie über den Flur. Leute vom Showteam, Boten und Assistenten und andere Mitarbeiter des Senders liefen an ihr vorbei, und jemand rief: »Hallo, Carrie!«, aber Leah winkte ab. Als Carrie in der Garderobe Platz nahm, schien es ihr, als sei sie nicht ganz bei sich. Seit einer Woche befand sie sich nun in diesem unwirklichen Zustand, und auch wenn sie für Augenblicke die wirkliche Welt um sie herum wahrnahm, wusste sie doch, dass sie nie wieder

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