Der fremde Sohn (German Edition)
perfekt «, sagte er schließlich. Das leise, ungläubige Schnauben, das Dayna von sich gab, verriet ihm, dass sie nicht verstand, was er damit ausdrücken wollte, und dass er sich eigentlich auf seine Mutter bezog. Seine perfekte Mutter.
Er schwor sich im Stillen, dass die beiden sich niemals begegnen sollten.
»Ich muss jetzt gehen.«
Als sie sich erhob, glitt Max’ Hand von ihrem Bein. Von seinen Fingern aus lief ein Kribbeln durch seinen ganzen Arm. Für einen winzigen, flüchtigen Augenblick, so wurde ihm bewusst, hatte auch er etwas Vollkommenes erlebt.
Er beschloss, ebenfalls nach Hause zu gehen. Ohne Dayna wollte er nicht in der leeren Wohnung bleiben. Er würde lieber zu Fuß gehen, statt den Bus zu nehmen. Glücklicherweise wurden sie diesmal auf dem Weg durch die Siedlung nicht belästigt – die Jugendlichen waren nirgends zu sehen. Wenn er noch einmal mit Dayna herkam, so nahm er sich vor, wollte er sie beschützen. Sie sollte ihn als richtigen Mann sehen. Beim nächsten Mal, wenn es Ärger gab, würde er bereit sein zurückzuschlagen.
Nach etwa zehn Minuten trennten sich ihre Wege. Sie bog in Richtung Schule ab, in deren Nähe sie wohnte, während er behauptete, er wolle sich noch mit ein paar Kumpeln treffen – als ob er welche hätte. In Wirklichkeit würde er zum Haus seiner Mutter in Hampstead gehen. Zu ihrem Acht-Millionen-Pfund-Haus .
Die Hände in den Taschen vergraben, den Blick fest auf seine Turnschuhe gerichtet, marschierte er eilig durch die Straßen. In Denningham, seiner früheren Schule, wussten alle, wer er war. Der Sohn von Carrie Kent … der Frau, die Woche für Woche die Fernsehschirme im ganzen Land beherrschte, dem Star der Show, über die alle redeten und deren Name regelmäßig in den Kolumnen der Klatschpresse auftauchte. Sie war so berühmt wie Oprah und so scharfzüngig wie Jerry Springer. Aber schließlich hatte es auf seiner alten Schule von den Sprösslingen millionenschwerer Unternehmer und Adliger aus dem In- und Ausland nur so gewimmelt. Ohne seine berühmte Mutter wäre er der einzige Normalsterbliche gewesen.
»Hallo?«, rief er, als er die zweite Sicherheitstür öffnete. Die erste bestand aus einem verstärkten Stahlgitter, und wenn man dreimal nacheinander den falschen Code eingab, wurde automatisch die Polizei alarmiert. Vorausgesetzt, man kam überhaupt an den Überwachungskameras vorbei. In der Eingangshalle angelangt, rief Max noch einmal. Er wusste nie, wen er in diesem Haus antreffen würde, doch meist war es nicht seine Mutter, sondern eine Schar von Hausangestellten und Sicherheitsleuten.
»Hallo!«, kam die Antwort vom anderen Ende des langen, weiß gestrichenen Korridors, der von der weitläufigen, marmorverkleideten Halle abging. Martha. »Ich habe was zu essen für dich, wenn du magst, Schatz. Deine Mutter ist nach Charlbury gefahren. Sie kommt am Sonntag zurück.«
Max ging in die riesige Küche, in der er sich ganz klein vorkam. Seine Mutter hatte die hintere Wand herausreißen und durch einen verglasten Anbau ersetzen lassen, wodurch der Raum noch größer geworden war. Alles hier war blendend weiß.
»Danke.« Max setzte sich an den Tisch und machte sich gierig über das Essen her, das Martha vor ihn hinstellte. Er lächelte ihr zu. Ob sie wohl den ganzen Nachmittag auf ihn gewartet hatte? Der Gedanke gefiel ihm. Er mochte Martha, sie hatte immer Zeit für ihn. Wahrscheinlich hatte er sich schon ausführlicher mit der Haushälterin unterhalten als mit seiner Mutter.
Charlbury also, dachte er und spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Er war nicht mehr in dem Landhaus gewesen, seit seine Mutter dort eine Neujahrsparty gegeben hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte er sie enttäuscht, indem er sich betrank und in eine steinerne Vase erbrach. Auch damals überließ sie es den Hausangestellten, ihn fortzubringen und in einem abgelegenen Zimmer einzusperren, damit er sie nicht noch einmal vor ihren vornehmen Gästen blamieren konnte.
»Das ist lecker. Danke, Martha.«
Sie erwiderte sein Lächeln. Er erschrak ein wenig, als er sich bei dem Wunsch ertappte, Martha wäre seine Mutter, doch zugleich wurde ihm bei der Vorstellung ganz warm ums Herz.
»Hast du in letzter Zeit mal deinen genialen Vater besucht?« Martha wischte sich die Hände ab. Die Küche strahlte.
»Er ist auch weggefahren. Zu einer Tagung«, antwortete Max. Hatten seine Eltern überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, dass er über das Wochenende allein war?
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