Der fremde Sohn (German Edition)
paar Kids aus der Klasse über ihnen versuchten, Cider zu bekommen, hatten jedoch keine Ausweise dabei. Er achtete nicht weiter auf ihr wachsendes Gemurre, als der Ladenbesitzer ihnen keinen Alkohol verkaufen wollte. »Es tut mir leid, Dayna, okay? Ich wollte nicht –«
»Halt doch einfach die Klappe, Max.« Kaum hatte sich Lorrell ein Eis aus den Tiefen der Kühltruhe geangelt, riss Dayna es ihr aus der Hand. Sie schob den Deckel der Truhe zu und ging zur Kasse, wo die Jungen noch immer mit dem Ladenbesitzer diskutierten. Der Mann bemerkte Dayna und griff nach dem Eis, um es einzuscannen.
»Eins neunundvierzig«, sagte er über die Köpfe der zeternden Jungen hinweg.
Dayna reckte sich und reichte ihm zwei Ein-Pfund-Münzen. Ungeduldig vor Vorfreude hüpfte Lorrell neben ihr auf und ab.
»Was ist denn los, Dayna? Was hast du denn?« Max ließ nicht locker.
»Sie ist ’ne verdammte kleine Mistzicke. Das ist los …« Die Stimme des Jungen ging in allgemeinem Gelächter unter.
Max umklammerte den Riemen seiner Tasche und starrte die Jungs an. Er kannte sie aus der Schule. Das waren üble Unruhestifter, immer auf Saufen und Prügeleien aus. Einer oder zwei von ihnen hatten wahrscheinlich schon mal im Knast gesessen. Er spürte den abgewetzten Lederriemen seiner Tasche und dachte erneut daran, was in der Tasche steckte. Aber hier drin kam das nicht in Frage. Mit einem raschen Blick stellte er fest, dass die Überwachungskamera direkt auf sie gerichtet war.
Endlich sahen die Jungen ein, dass sie hier keinen Alkohol bekamen, und zogen ab. Einer von ihnen stieß Max im Vorbeigehen mit der Faust in den Rücken. Lorrell packte ihr Eis aus und ließ das Papier draußen vor der Tür fallen.
»Nein, Lorrell«, sagte Max. »Wirf es in den Papierkorb.« Gehorsam lief sie los und leckte dabei das rosa Eis. Max fasste Dayna an der Schulter und drehte sie zu sich herum. »Wir haben uns geküsst, und nun bist du traurig«, sagte er nur. »Das tut mir leid.«
Daynas Augen füllten sich mit Tränen. »Es braucht dir nicht leidzutun«, flüsterte sie. »Es hat nichts mit dir zu tun.«
»Womit dann?«
Lorrell kam wieder angetrabt und griff nach der Hand ihrer großen Schwester.
»Es war so … so …« Dayna blickte zum Himmel hinauf und schniefte. »Ich habe eine solche Wärme im Herzen gespürt, dass ich es kaum aushalten konnte«, erklärte sie. »Aber es hat mich auch wütend gemacht.«
»Und …?« Max wagte kaum zu atmen.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Und es hat mir gezeigt, dass wir ungeliebt sind, Leute wie du und ich.«
»Leute wie wir?«
Dayna blickte Max mit zusammengekniffenen Augen an. »Mein ganzes Leben lang habe ich nur Mist erlebt. Dagegen bin ich mittlerweile abgestumpft. Aber jetzt …«
Max fragte sich, warum Dayna für sie beide sprach, auch wenn er sich eingestehen musste, dass es ihm gefiel, wie sie wir sagte. Dagegen verstand er sehr gut, was sie mit abgestumpft meinte. »Was jetzt?«
»Jetzt fühle ich mich nicht mehr so abgestumpft. In meinem Herzen kribbelt es.« Nach diesen Worten wurde Dayna rot. Sie packte Lorrell an der Hand und rannte mit ihr die Straße entlang.
Betroffen sah Max ihnen nach. Er berührte mit den Fingern seine Lippen, dann schob er die Hand unter die Jacke und legte sie auf sein Herz. Er spürte es auch.
In den Schuppen hatte es hereingeregnet. Mehrere Kartons waren gewellt und aufgeweicht. Max öffnete sie und überprüfte den Inhalt. Stück für Stück holte er die Teller heraus und stellte sie auf trockenen Schachteln ab. Er fand das Geschirr ziemlich hässlich, es würde wohl alten Damen gefallen. Die Farbe war eine Art marmoriertes Cremeweiß mit einer Bordüre aus Trauben und Äpfeln. Er nahm einen Teller und schleuderte ihn quer durch die Hütte. »Zwölfteiliges Service, jetzt nur noch elfteilig«, sagte er und griff nach einer Schüssel. Auch dieses hässliche Teil zerschmetterte er, dass die Scherben nur so flogen.
Wenig später war sämtliches Geschirr zerschlagen, und Max beförderte den Karton mit einem Fußtritt vor die Tür. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Er machte es sich auf der Autositzbank bequem und steckte sich eine Zigarette an. Jetzt fühlte er sich besser, beinahe normal. »Wieder abgestumpft«, sagte er. »Leute wie wir .«
Er schloss die Augen und sog den Rauch tief in seine Lunge. Dabei sah er wieder Daynas hübsches Gesicht vor sich, wie es auf dem Karussell ausgeschaut hatte, als die Welt an ihnen vorbeigewirbelt
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