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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Carrie, hätte sie warten sollen, bis er seine Uniform ausgezogen hatte. Ohne diese steife grünbraune Hülle wäre er vielleicht ein netter, freundlicher Vater. »Bitte! Vielleicht ein Kaninchen?«
    Charles Kent war in die aktuellen Nachrichten vertieft. Mit jeder neuen Seite zogen sich seine Augenbrauen mehr zusammen. Es roch stark nach Druckerschwärze. Carrie entzifferte die Schlagzeile auf der Titelseite: Bombenanschlag erschüttert Nordirland .
    »Kommen die auch hier auf den Stützpunkt?«
    Ihr Vater ließ die Zeitung sinken und fragte: »Wer?« Seine Stimme war weder unfreundlich noch barsch, nur kalt, als sähe er in ihr lediglich eine Nervensäge.
    »Die mit den Bomben.«
    »Nein.« Er schob sich die Brille wieder auf die Nase, runzelte die Stirn wie zuvor und tippte beim Lesen mit dem Finger gegen den Rand der Zeitung. Carrie beobachtete ihn und fragte sich, ob er wohl noch an das Kaninchen dachte.
    »Ich würde es auch ganz allein versorgen.« Sie stand jetzt neben ihm, sehr aufrecht, die Beine zusammengepresst, die Handflächen fest an die Oberschenkel gedrückt. So stand ein guter Soldat. Carrie wusste, dass ihr Vater ein ganz wichtiger Mann in der Armee war und sie ihm mit dieser Haltung imponieren konnte.
    »Na schön, dann eben ein Kaninchen«, sagte er, diesmal ohne die Zeitung sinken zu lassen oder seine Tochter anzusehen.
    »Wirklich?« Sie überlegte, ob sie ihn mit »Sir« anreden sollte. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, aber das gehörte sich nicht.
    »Wenn ich es doch sage.«
    Caroline rannte davon, um es ihrer Mutter zu erzählen. Die hatte die Arme bis zum Ellenbogen in Seifenlauge getaucht. »Daddy sagt, ich darf ein Kaninchen haben! Wirklich!«
    Einige Tage lang erwähnte niemand mehr das Kaninchen, nicht einmal Caroline, aus Angst, ihren Vater zu verärgern.
    »Wenn ich erwachsen bin«, sagte sie später beim Zähneputzen und schaute dabei in den Spiegel, »dann mache ich, was ich will.« Sie spülte sich den Mund aus. »Dann kann ich hundert Kaninchen haben.«
    Am nächsten Tag gab es Ragout zum Mittagessen. Ihr Vater sprach wie immer das Tischgebet, dann richtete er den Blick auf sie.
    »Du wolltest doch Kaninchen«, begann er, und seine sonst so verkniffene Miene wirkte ganz freundlich.
    »O ja«, antwortete sie mit vollem Mund. Ob schon ein Käfig draußen stand mit einem Kaninchen, das darauf wartete, geknuddelt zu werden?
    »Dann guten Appetit«, sagte Charles Kent nur und schwieg für den Rest der Mahlzeit.

Herbst 2008

    S ie hoben Lorrell auf die Schaukel. Während Max den Plastiksitz behutsam anstieß, damit das kleine Mädchen nicht herunterfiel, stellte sich Dayna vor ihre kleine Schwester und schnitt jedes Mal eine Grimasse, wenn Lorrell auf sie zugeflogen kam. Die Kleine jubelte vor Freude.
    »Bäuchlein kribbelt!«, schrie sie.
    »Halt dich gut fest, Lorrell!«, rief Max ihr zu. Er hatte noch nicht viel mit kleinen Kindern zu tun gehabt. Seinen Cousins, den Kindern der Schwester seines Vaters, war er nur einmal begegnet. Seit sie damals aus Jamaika zu Besuch gekommen waren, hatte er sie nicht wiedergesehen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie seine Mutter ständig hinter ihnen hergelaufen war, um die klebrigen Fingerabdrücke abzuwischen, die sie in Carries blitzsauberem Haus hinterlassen hatten. Immer wieder hatte sie verlangt, ihre Eltern sollten besser auf sie achtgeben. Kein Wunder, dass sie nie wiedergekommen waren.
    »Hattest du noch Kontakt zur Familie deines Vaters? Ich meine, nachdem deine Eltern geschieden waren.«
    Dayna schüttelte den Kopf: »Nein. Huiiiii!« Sie klatschte die Handflächen gegen Lorrells.
    »Ich auch nicht.« Max setzte ein paar Schwünge aus. Lorrell flog schon hoch genug, fand er. Wenn er einmal Kinder hatte, wollte er alles anders machen als seine Eltern.
    Er schaute Dayna an. Ihre blassen Wangen hatten einen hübschen rosigen Schimmer – viel zu zart für ein Mädchen in Bikerstiefeln und Lederjacke. Er fragte sich, in welchem Alter er wohl Kinder bekäme und wer die Mutter sein würde. Vorher wollte er aber einen Job, ein Haus und all das. Vielleicht mit dreißig, dachte er und hoffte, dass Dayna und er dann noch befreundet wären. »Du bist eine gute Mutter für sie«, rief er.
    Dayna zwinkerte ihm zu. »Sonst hat sie ja keine.« Sie packte die Ketten, um die Schaukel anzuhalten, und hob Lorrell herunter, die sofort zu dem rot und grün lackierten Karussell lief. Die Holzbohlen waren mit Graffiti bedeckt, und von dem rostigen

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