Der fremde Sohn (German Edition)
sie gern mal …, hatten ein paar von den Jungs in Denningham zu ihm gesagt. Da hatte er nicht gewusst, ob er lieber im Erdboden versinken oder sie umbringen wollte.
»Ja, eine Menge.«
Carrie seufzte und schaute ihn traurig an. Oder eher zerknirscht, dachte Max, weil sie nichts aus ihm herausbekam. Nicht wie bei den armen Teufeln, die sie in ihrer Show in die Mangel nahm.
»Wie sieht es mit Freunden aus? Hast du schon welche gefunden?«
Max richtete sich ein wenig auf. Wusste sie von Dayna? Er blickte ihr in die Augen. Wie immer wurde ihm dabei ganz kalt, erst recht nach dieser Frage. Er zuckte nur die Achseln.
»Du vermisst doch bestimmt deine alten Schulkameraden«, fügte sie hinzu.
Jetzt wusste er, wie der Hase lief. »Das waren blöde Wichser.«
»Ach Max …« Carrie beugte sich vor. Immerhin hatte sie etwas aus ihm herausbekommen, hatte einen Ansatzpunkt gefunden. Er wusste, wie sie vorging. »Soll ich nicht noch mal mit dem Schulleiter von Denningham sprechen? Es ist doch nicht gerecht, dass du gehen musstest, weil es Probleme gab.«
»Ist schon gut, Mum. Mir gefällt es auf der Milton.« Er schluckte und hoffte inständig, sie möge ihn nicht allzu gründlich durchschauen. »Es gibt dort eine Menge netter Kids, und der Unterricht ist cool. Hör auf, dir Sorgen zu machen. Diesen Sommer mache ich meinen mittleren Schulabschluss, und dann kann ich an die Hochschulreife denken. Vielleicht gehe ich aufs College.« Die Miene seiner Mutter verriet, dass sie ihm das nicht abnahm.
»Ach Maxie, ich habe dich doch nicht in die Welt gesetzt, damit du mit Proleten und Kiffern Umgang hast. Mit solchem Abschaum habe ich in meiner Show weiß Gott genug zu schaffen, da brauchst du dich mit denen nicht auch noch abzugeben. An solchen Orten gedeihen Alkohol- und Drogenmissbrauch und Gewalt. Ehe du dich versiehst, hast du Ärger mit der Polizei oder ein Mädchen geschwäng–«
»Hör auf!« Max sprang auf. Er sah, wie seine Mutter erstarrte. Sie war sichtlich bestürzt über seine heftige Reaktion.
»Ich kann auf mich selbst aufpassen, Mum.« Er hatte sich gleich wieder unter Kontrolle. »Mir passiert schon nichts.« Es schien ihm, als glitzerte in ihrem Augenwinkel eine Träne.
»Schön«, sagte sie und drehte sich mit ihrem Sessel wieder zum Computer herum. »Ich wünsche mir nur, dass du glücklich bist.«
Etwas in ihrer Stimme überzeugte Max beinahe davon, dass sie es ernst meinte – ein liebevoller Unterton, der sein Herz berührte. Er stapfte die Treppe hinauf und schloss sich in seinem Zimmer ein. Lag es etwa an Dayna, fragte er sich. War ihr Kuss der Grund dafür, dass er sich, ganz gegen seinen Willen, seiner Mutter etwas näher fühlte? Er nahm einen dicken Filzstift und ließ sich aufs Bett fallen. Dann schob er seinen linken Ärmel hoch und schrieb auf seinen Arm ganz groß Dayna .
Samstag, 25. und Sonntag, 26. April 2009
S ie kannte ihn, Leah.« Carrie spürte den Stuhl, auf dem sie saß, nicht mehr. Ihre Nerven waren völlig blockiert. »Dieses Mädchen, Dayna, kannte Max. Wahrscheinlich wusste sie mehr über ihn als ich.«
»Bestimmt nicht.« Leah nahm die Flasche Whisky und schenkte ihnen beiden nach.
»›Keiner mochte uns‹, hat sie gesagt.« Carrie legte den Kopf in den Nacken, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief. »Keiner mochte uns«, wiederholte sie noch einmal und fuhr fort: »Bedeutet das jetzt, dass sie ein Paar waren, oder wurden sie nur zufällig beide schikaniert?«
»Hör doch auf, dir darüber Gedanken zu machen, Carrie. Sonst drehst du noch durch.«
»Mein Sohn wurde erstochen.« Carrie betonte jede einzelne Silbe. »Da mache ich mir so viele Gedanken, wie ich will.« Sie kippte den restlichen Whisky hinunter. Er brannte ihr in der Kehle.
»Du deutest einfach zu viel in ihre Worte hinein. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Es ist doch gut, dass er eine Freundin hatte.« Leah, die mit auf dem Sofa saß, rückte näher heran.
»Du hast sie ja nicht gesehen.«
»Nein.« Leah schraubte die Whiskyflasche zu und stellte sie auf den Tisch. »Aber Max mochte sie anscheinend, das allein zählt.«
»Du begreifst das nicht, Leah. ›Keiner mochte uns ‹, hat sie gesagt. Uns, uns, uns! Und ich habe von nichts gewusst.« Carrie griff nach der Flasche, doch Leah nahm sie ihr aus der Hand. Daraufhin ließ sich Carrie seitwärts gegen die Schulter ihrer Freundin fallen. Ihr Schluchzen klang bitter, ungläubig, zornig. »So was passiert mir
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