Der fremde Sohn (German Edition)
dieser Frau hatte sich Brody also einmal hingezogen gefühlt.
»Wir haben die Aufzeichnungen der Überwachungskameras im Umkreis der Schule ausgewertet und einige vielversprechende Aufnahmen zum Vergrößern geschickt. Sie zeigen eine Gruppe Jugendlicher, die sich ungefähr zum Tatzeitpunkt aus der Gegend entfernten.«
Max’ Name wurde nicht erwähnt, stellte Fiona fest. Nur Tatzeitpunkt, als stünde die Tat selbst im Mittelpunkt. Sie blickte zu Brody, der bewegungslos dasaß. Er hatte das Taschentuch von der Wunde genommen, die nun nicht mehr blutete. An seiner Haut klebten noch kleine Papierfetzen.
»Wer war das? Was für Jugendliche?«, erkundigte sich Carrie mit bebender Stimme.
»Es waren fünf, Carrie. Die Kamera zeigt, wie sie aus Richtung der Schule kommend davonlaufen. Allerdings können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich auf dem Schulgelände waren, solange die Zeugin sie nicht identifiziert hat. Leider war zum fraglichen Zeitpunkt das Überwachungssystem der Schule ausgefallen. Und es fehlt das Geld, um es reparieren zu lassen.« Dennis seufzte – verärgert, entschuldigend, resigniert. »Wir haben Hinweise auf die Bekleidung, und sobald die Vergrößerungen da sind, zeigen wir sie der Zeugin.«
»Die Zeugin …« Carrie erstarrte.
Fiona sah, wie Brody die Schultern straffte.
»Ja. Wie ihr wisst, gab es bei der Tat eine Zeugin. Ein Mädchen.« Masters wollte offenbar nicht zu viel verraten. »Darüber hinaus suchen wir die ganze Gegend nach der Tatwaffe ab. Spätestens heute Abend liegt mir der ausführliche Autopsiebericht vor. Die Forensiker haben eine ganze Anzahl Spuren gefunden, und ich hoffe –«
»Ein Mädchen?« Brody stand so abrupt auf, dass er gegen den Tisch stieß und der Kaffee in den Tassen überschwappte. »Wie heißt sie?«
Fiona richtete den Blick auf das Gesicht des Detectives. Sie musste sich alles genau einprägen, um es Brody später berichten zu können.
Der andere Detective mischte sich ein: »Uns liegt die Aussage einer jungen Zeugin vor, die am Tatort anwesend war. Wir gehen davon aus, dass sie uns wichtige Informationen liefern kann. Allerdings befindet sie sich in sehr instabiler Verfassung und darf nicht zu stark belastet werden.«
»Instabil?« Carrie erhob sich ebenfalls, ging um den Tisch herum und stellte sich neben Brody. Fiona spürte, wie ihr der Schweiß auf die Oberlippe trat. Sie konnte sich in diesem Moment vorstellen, dass die zwei einmal ein Paar gewesen waren, diese beiden Menschen, die jetzt zwar angeschlagen, aber noch immer eindrucksvoll wirkten.
»Es kann vorkommen, dass Zeugen unter einer Art posttraumatischer Belastung leiden. Besonders Kinder und Heranwachsende«, fügte Dennis erklärend hinzu. »Dann blenden sie aus, was sie gesehen haben. Es ist ein Schutzmechanismus. Das Mädchen hat keinen Einfluss auf ihre Reaktion. Schließlich musste sie etwas Entsetzliches mitansehen, das ihr ganzes Leben verändert hat. Manche Menschen können die Folgen einer solchen Erfahrung nicht bewältigen – ihr Gehirn blockt alles ab, als sei es nie geschehen. Aber wir werden sie schon zum Reden bringen.«
Carries Wangen waren feuerrot. »Das ist ja alles gut und schön, aber –«
Dennis ging zu ihr und legte ihr beruhigend die Hände auf die Schultern. »So etwas habe ich schon öfter erlebt. Sie braucht Zeit. Wenn nötig, ziehe ich einen Jugendpsychologen hinzu, der mit ihr arbeitet.«
Fionas Blick huschte zwischen Brody, Carrie und dem Detective hin und her. »Wie ist der Name der Zeugin?«, fragte sie, da sie annahm, dass Brody es wissen wollte.
Dennis runzelte die Stirn. »Tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Carrie, die dicht vor ihm stand, war den Tränen nahe. Ihre Augen flehten um Einzelheiten, irgendetwas, das ihre Hoffnung auf baldige Aufklärung nährte. Zitternd wartete sie auf einen noch so winzigen Beweis dafür, dass die Dinge in Bewegung kamen.
»Ihr Name ist Dayna«, erklärte Dennis schließlich widerstrebend. »Aber mehr darf ich wirklich nicht sagen.«
Vergangenheit
B eide wussten, was der jeweils andere dachte. Sie unterdrückten ein Lächeln und wechselten einen innigen Blick, dann wandten sie sich zum Altar.
»Caroline Elizabeth Kent, willst du den hier anwesenden Brody Nathan Quinell als deinen gesetzlich angetrauten Ehemann annehmen, ihn lieben und ehren …«
Sie hatte die Trauformel schon bei der Probe gehört und sie seitdem wenigstens tausendmal in ihrem Schlafzimmer vor sich hin
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