Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
ist mit dem Hubschrauber eingeflogen worden, damit er an der morgigen Kabinettssitzung teilnehmen kann, bei der über das dreijährige Entwicklungsprogramm beraten wird. Er hat mich mitgenommen.«
Siri setzte sich an Dtuis Schreibtisch und wischte sich mit einem baumwollenen Schädelkäppchen übers Gesicht.
»Gibt’s was Neues?«, fragte er.
»Nicht aus Vang Vieng. Ich dachte, hier könnte ich mich eher nützlich machen. Ich habe Sergeant Sihot dort gelassen, damit er das Foto herumzeigen kann.«
»Und der Lastwagenfahrer?«
»Seinetwegen bin ich hier. Er arbeitet für die neue Entwicklungskooperative und wird morgen aus Pak Lai zurückerwartet. Wenn er kommt, knöpfe ich ihn mir vor.«
»Und die Krankenschwester aus Luang Nam Tha?«
»So Gott will, fliege ich morgen Nachmittag mit einer Linienmaschine dorthin, um sie zu befragen. Vielleicht bringt uns das ja auf eine heiße Spur.«
»Warum rufen Sie die Frau nicht einfach an?«
»Ich muss mich doch sehr wundern, Doktor Siri. Was ist eigentlich aus dem Mann geworden, der noch vor anderthalb Jahren keinen Schimmer hatte, wie man ein Telefon bedient?«
»Der Seniorenverband hat uns dringend geraten, uns mit der neuen Technik vertraut zu machen.«
»Dann könnte er der Stadtverwaltung von Laung Nam Tha ja mal raten, die eine oder andere Telefonleitung legen zu lassen. Ebenso gut könnte man versuchen, bei einer Séance Großonkel Lou im Jenseits zu kontaktieren, und das ist noch geschmeichelt. Nicht einmal der Gouverneur hat Telefon. Er muss jedes Mal zu den chinesischen Straßenbauern rüberfahren und deren Apparat benutzen.«
»Ihnen ist hoffentlich klar, dass Dtui mir die Schuld geben wird, wenn Sie schon wieder auf Dienstreise gehen?«
»Warum sollte sie?«
»Weil sie mir für alles die Schuld gibt. Und damit steht sie weiß Gott nicht allein.«
»Doktor, Sie sind doch nicht etwa deprimiert?«
»Ach was. Ich bin nur ein alter Mann, der über die Endlichkeit des Lebens nachsinnt.«
»Ist was passiert?«
»Dreiundsiebzig Jahre, weiter nichts.«
»Sie waren nicht zufällig bei einer ärztlichen Untersuchung, von der ich nichts weiß?«
»Nein. Ich, äh … ach, bo ben nyang .«
Als Siri in der Nudelküche ankam, war der Abendansturm fast vorbei. Daeng servierte, was der Kessel hergab. Hätten die thailändischen Geheimdienstbeamten an diesem Abend ihre Ferngläser auf Daengs Restaurant gerichtet, wären sie nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass Laos unter einer Wirtschaftskrise litt. Sie hätten die zweite Abwertung des Kip für eine Finte und Gerüchte über den finanziellen Ruin des Nachbarlandes für ein kommunistisches Komplott gehalten. Was schlicht und einfach daran lag, dass sie den wahren Grund für den Andrang vor Daengs Garküche nicht kannten. Eine Schüssel der köstlichsten Nudeln nördlich der Äquator-Metropole Singapur kostete den Gegenwert von zwanzig Cent, und dieser Versuchung vermochten nur wenige zu widerstehen. Mit Daengs Kochkünsten konnte es in der Hauptstadt niemand aufnehmen. Das hatte sich herumgesprochen, und manche Leute kamen extra von auswärts angereist, um ihre vorzüglichen Nudeln zu genießen. Leckeres Essen, niedrige Preise und ein minimales Risiko, an Hepatitis zu erkranken.
Siri stieg über den Zaun und stahl sich durch die Hintertür. Er stieß einen Pfiff aus, worauf Daeng am Kessel sich umdrehte.
»Psst. Ist die Luft rein?«, fragte er.
»Liebling, du lebst«, rief sie. Ein Dutzend Gäste blickten auf, und Siri zog sich hinter den Türrahmen zurück. »Ich dachte schon, das Wohnungsamt hätte dich ermordet.«
Siri flitzte zur Treppe und hielt zwei Finger in die Höhe: Daengs Nudelgericht Nummer zwei, mit Baumfröschen und Silberohren. Dann verschwand er nach oben.
Um halb neun waren die Tische abgewischt und das Gitter vorgeschoben. Um diese Zeit ging kein Mensch mehr vor die Tür, es sei denn, er war ein osteuropäischer »Experte« oder hatte einen guten Draht zur Parteiführung. Daeng stieg in den ersten Stock, um nach ihrem Mann zu sehen. Siri saß über seinen Schreibtisch gebeugt. Sie küsste ihn auf das leichtere seiner beiden Ohren.
»Leute in unserem Alter tun so etwas nicht«, sagte er.
»Dann sind sie verrückt.« Sie küsste ihn noch einmal. »Was machst du da?«
»Ich versuche ein Hindi-Rätsel zu entschlüsseln.«
»Und wir einfachen Menschen haben schon mit der Lao Huksat unsere liebe Mühe.«
»Es ist eine Übersetzung.«
Sie zog einen Rattanhocker heran und setzte sich
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