Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
vor einigen Minuten kehrten sie zurück. Herr, sie ist ein wunderschönes Weib, jeder Verehrung würdig, das gebe ich offen zu, aber Grishan ist viel zu jung, um mit dem Temperament einer Lamia zurande zu kommen. Wenn er ihr erliegt, frisst sie ihn mit Haut und Haaren. Ihr müsst eingreifen.“
Unmut brodelte in Juvenal auf und wollte ihn auf kleiner Flamme garen. Von ihm abgewiesen, versuchte Berenike wohl, einen Jungwolf zu umgarnen. Dem musste er einen Riegel vorschieben. Grishan hatte sich von ihr fernzuhalten, und sie sich von ihm. In Windeseile streifte er eine Hose über und zwängte sich in seine Stiefel.
„Herr, ein Hemd. Ihr braucht doch noch ein Hemd!“, rief Sancho und eilte ihm mit einem frischen Hemd in den Gang nach.
Ohne langsamer zu werden, schlüpfte Juvenal in die Ärmel. Zum Zuknöpfen blieb keine Zeit. Lange genug hatte er die Zügel schleifen lassen, und sein Rückzug hatte neuen Ärger heraufbeschworen, anstatt seine Laune zu heben. Zu jeder Stunde war ihm Berenikes Gegenwart bewusst, denn ihr Duft haftete wahrhaftig überall. Ein letzter Hauch hing sogar noch in seinen Laken, auf denen sie gelegen und mit ihm gesprochen hatte. Am Ende, er wollte es sich kaum eingestehen, hatte er sich einzig aus diesem Grund nur selten aus dem Bett bequemen können. Verdammte Scheiße!
Auf halber Höhe der Treppe stieß er mit Melody zusammen, die mit gesenktem Kopf die Stufen nahm. Erschrocken zuckte sie zusammen, raffte ihren Rock und wollte einen Haken um ihn schlagen. Ihr Ausweichen machte ihn misstrauisch. Er trat ihr in den Weg.
„Melody, sieh mich an.“
Sie hob zögernd den Blick, doch dann schüttelte sie ihre Demut ab. Ihre Haltung verriet sie, mehr noch der Ausdruck ihrer Augen. Geradezu entrückt. Juvenal ahnte, was Mica getan hatte.
„Hat der Vampir dein Blut genommen?“
„Euch kann es doch gleichgültig sein, was aus mir wird. Also weshalb fragt Ihr?“
Die Wahrheit krachte ihm wie ein Felsbrocken auf den Schädel und machte ihn für wenige Herzschläge benommen. Mica nährte sich an Melody und sprengte die Gebote der Gastfreundschaft – sofern diese überhaupt für einen Vampir galten. Wie konnte dieser Blutsauger es wagen? Melodys Trotz fiel in sich zusammen, als sie sein dumpfes Grollen vernahm.
„Auf dein Zimmer, Mädchen. Du wirst es erst wieder verlassen, wenn ich es gestatte. Wir reden noch miteinander.“
Schleunigst folgte sie seinem Befehl und hastete die Treppe hinauf. Juvenal fuhr sich durch die Haare. Verdammt wollte er sein, wenn er diesen Fehltritt hinnahm. Dieser Vampire hatte sich lange genug in seinem Hort eingenistet. Jedwede Abmachung war hinfällig. Bündnis hin oder her! Er wirbelte herum, verlor beinahe den Halt auf der Stufe und stürmte auf der Suche nach der Waffenkammer die Treppe wieder hinauf.
„Unfassbar!“ Mit den Fingerspitzen strich Mica über die sorgfältig ausgeführte Federzeichnung einer unbekannten Blütenart. „Es liegt lange zurück, seit ich das letzte Feenzeichen sah. Es ist das Einzige, das Vampire und Lamia auf Abstand halten kann.“
„Verstehe ich richtig: Eine Fee hat die Gravur in Silber geritzt?“, fragte Grishan, wenig überzeugt.
„Feen ritzen keine Zeichen ein, sondern hauchen sie mit ihrem Atem selbst in das härteste Material. Das Silber dürfte ihrkeine Schwierigkeiten bereitet haben.“
Mochte Grishan seine Zweifel über die Existenz von Feen haben, Berenike hegte sie nicht. Bedachte sie ihre Freundschaft zu einer Hexe und die Begegnung mit der Asrai, kam ihr das Vorhandensein von Feen geradezu logisch vor. Wie jedem Mythos wurde auch ihnen einiges nachgesagt.
„Es heißt von den Feen, dass sie sich von allem fernhalten und einzig ihren eigenen Angelegenheiten nachgehen. Weshalb sollte eine von ihnen Branwyn einen Gefallen erweisen?“
„Vielleicht war sie ihm etwas schuldig“, spekulierte Mica. „Er braucht außer diesem Schutz einen Talisman, der es ihm erlaubt, den Zauber zu umgehen und die Silberplatte zu berühren. Weshalb sie ihm behilflich war, lässt sich schwer ergründen. Immerhin kennen wir nun das Versteck des Kristalls. Der Rest …“
Das trockene Klicken von Metall ließ sie gleichzeitig herumfahren. Juvenal stand in der Bibliothek, in jeder Hand eine geladene Muskete. Die schweren Kolben wurden von seinen angewinkelten Unterarmen stabilisiert. Trotz des Gewichts der Waffen hielt er die Mündungen ruhig auf Mica gerichtet.
Schon als Berenike die Bibliothek betreten und Melody auf Micas
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