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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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zu klemmen schien. Während sie sich vergeblich mühte, die Tür zu öffnen, konnte sie hören, wie sich hinter ihrem Rücken der Schlüssel der Schranktür langsam um sich selbst drehte und wie diese Stimmen, die aus der allertiefsten Tiefe des Hauses zu kommen schienen, lachten.
    »Als ich klein war«, sagte Roland, »erzählte mein Großvater mir diese Geschichte so oft, daß ich jahrelang von ihr geträumt habe. Das alles fing vor vielen Jahren an, nachdem ich meine Eltern bei einem Autounfall verloren hatte.«
    »Es tut mir so leid, Roland«, unterbrach ihn Alicia. Sie ahnte, daß es ihrem Freund schwerer fiel, jene Erinnerungen aufzuwühlen, als er es zeigen wollte, obwohl er liebenswürdig lächelte dabei und so aussah, als ob er gerne bereit wäre, ihnen die Geschichte seines Großvaters und des Schiffes zu erzählen.
    »Ich war ganz klein. Ich kann mich kaum an meine Eltern erinnern«, sagte Roland, während er dem Blick von Alicia auswich.
    »Was passierte damals?« beharrte Max.
Alicia blitzte ihn an.
»Der Großvater kümmerte sich um mich, und ich richtete mich bei ihm im Leuchtturmhaus ein. Er war Ingenieur und schon seit Jahren der Leuchtturmwärter für diesen Küstenabschnitt. Der Gemeinderat hatte ihm das Amt auf Lebenszeit zugesprochen, nachdem er den Leuchtturm im Jahr 1919 praktisch mit seinen eigenen Händen erbaut hatte. Es ist eine merkwürdige Geschichte, ihr werdet schon sehen. Am 23. Juni 1918 schiffte sich mein Großvater im Hafen von Southampton an Bord der Orpheus ein, jedoch unter fremdem Namen. Die Orpheus war kein Passagierschiff, sondern ein berüchtigter Frachter. Ihr Kapitän war ein stets betrunkener und durch und durch bestechlicher Holländer, der die Schiffsräume an die Meistbietenden vermietete. Seine bevorzugten Kunden waren für gewöhnlich Schmuggler, die den Ärmelkanal überqueren wollten. Die Orpheus war so berühmt, daß sogar die deutschen Zerstörer sie wiedererkannten und sie nicht versenkten, wenn sie auf sie stießen - vermutlich deshalb, weil sie selbst von den Machenschaften des Holländers profitierten. Auf jeden Fall begann das Geschäft gegen Ende des Krieges nachzulassen, und der Fliegende Holländer, wie mein Großvater ihn mit Spitznamen nannte, mußte sich andere, noch schmutzigere Geschäfte suchen, um die Spielschulden zu zahlen, die er in den Monaten zuvor angehäuft hatte. Allem Anschein nach verlor der Kapitän in einer jener Nächte, in der er, wie meistens, eine Pechsträhne hatte, alles bis aufs Hemd an einen gewissen Mister Cain. Dieser Mister Cain war der Besitzer eines Wanderzirkus. Als Begleichung der Rechnung verlangte er von dem Holländer, daß er die gesamte Zirkustruppe an Bord nehmen und sie unerkannt ans andere Ufer des Kanals bringen solle. Aber der vorgebliche Zirkus des Mister Cain, dessen Zeichen ein siebenendiger Stern war, verbarg ein wenig mehr als ein paar Schaustellerattraktionen. Seine Mitglieder waren daran interessiert, schnellstmöglich und natürlich illegal aus dem Land zu verschwinden. Der Holländer willigte ein. Was blieb ihm anderes übrig? Wenn er nicht zugestimmt hätte, hätte er auf der Stelle sein Schiff verloren.«
    »Moment mal«, unterbrach ihn Max. »Was hatte dein Großvater mit all dem zu tun?«
»Dazu komme ich gleich«, fuhr Roland fort. »Wie ich gesagt habe, hielt dieser gewisse Mister Cain, falls das überhaupt sein richtiger Name war, so einiges verborgen. Mein Großvater war seiner Spur schon seit langer Zeit gefolgt. Sie hatten eine Rechnung offenstehen, und mein Großvater fürchtete, daß seine Möglichkeiten, ihn zu erwischen, für immer dahin sein würden, wenn er zusammen mit seinen Anhängern das Land verließ.«
»Deshalb ist er an Bord der Orpheus gegangen?« folgerte Max. »Als blinder Passagier?«
Roland nickte.
»Da ist etwas, was ich nicht verstehe«, sagte Alicia. »Warum hat er die Polizei nicht benachrichtigt? Er war Ingenieur und kein Gendarm. Was für eine Art von Rechnung hatte er mit diesem Mister Cain zu begleichen?«
»Darf ich die Geschichte zu Ende erzählen?« fragte Roland.
Max und seine Schwester nickten gleichzeitig.
»Gut. Tatsache ist, daß er an Bord ging«, fuhr Roland fort. »Die Orpheus stach frühmorgens in See und hoffte darauf, ihr Ziel in tiefer Nacht zu erreichen. Aber die Dinge verkomplizierten sich. Kurz nach Mitternacht brach ein Unwetter los und trieb das Schiff an die Küste. Die Orpheus zerschellte an den Felsen der Steilwand und sank innerhalb weniger

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