Der Funke des Chronos
starrte eine Gruppe Menschen zu ihnen herauf und gestikulierte aufgeregt.
»Ne, dat is schon allns!« schimpfte der Konstabler. »Sie mütten mehr Ballast abwerfen. Schnell!«
Heine und Tobias schnitten ein weiteres Dutzend Wassersäcke ab, die am Boden wie übergroße Kürbisse zerplatzten.
»Genug!« rief Borchert. Tatsächlich gewann der Flugballon jetzt beständig an Höhe, und der Wind trieb sie über den breiten Stadtwall, der sich unter ihnen – wie ein gezackter Deich – von Nordost nach Südwest erstreckte.
Der Anblick, der sich nun bot, war erschreckend. Südöstlich von ihnen, nur wenige tausend Schritte entfernt, brannte das Herz der Stadt. Die Flammen züngelten wild an Speichern, Hausfassaden und Dachstühlen in die Höhe, und der auffrischende Wind trieb die schwarzen Rauchwolken wie einen breiten Trauerflor gen Osten.
»Sehen Sie!« rief Heine und deutete hinüber zum Hopfenmarkt. Nun hatten sie einen guten Blick auf das brennende Häusermeer, das in einem Halbrund vom Nikolaifleet eingeschlossen wurde. Auch die große Nikolaikirche brannte lichterloh.
Plötzlich war ein lautes Bersten und Krachen zu hören – sie wurden Zeugen eines beängstigenden Schauspiels. Lange hatte die altehrwürdige Kirche dem Feuer widerstanden; jetzt aber stürzte sie mit dumpfem Getöse zusammen. Eine gewaltige Glutwolke stob zum Himmel auf, und dichter schwarzer Rauch wirbelte empor, der vom Wind nach Osten geweht wurde. Unzählige Schreie verängstigter Menschen schallten zu ihnen herauf.
»Sie haben die Wahrheit erzählt«, murmelte Heine erschüttert. »Sie ist wirklich eingestürzt. In einem stillen Winkel meines Herzens hatte ich noch immer gehofft, dass Sie doch nur ein Wichtigtuer sind. Gleichgültig, welchen Irrsinn wir beide inzwischen erlebt haben.«
Tobias blickte den Dichter betrübt an und nickte. »Es wird noch schlimmer kommen«, seufzte er. »Richten Sie Ihren Blick weiter nach Osten. Das Feuer ist längst über den Nikolaifleet gesprungen. Wenn ich mich recht entsinne, wird es die ganze Innenstadt verwüsten. Das Rathaus wird vernichtet, der Jungfernstieg … Auch die Petrikirche wird einstürzen. Aber Hamburg wird wieder aufgebaut werden.«
»Das tröstet mich nicht«, erwiderte Heine melancholisch. »Es wird nicht mehr das Hamburg sein, das ich kannte. Mein altes, schiefwinkliges, schlabberiges Hamburg …« Er atmete tief ein. »Ich werde einen Weg finden, darüber schreiben. Ich muss all das zu Papier bringen.«
Tief ergriffen versuchte er sich an einem Reim:
»Es brennt an allen Ecken zugleich,
man sieht nur Rauch und Flammen!
Der Kirchturm lodert auf
Und stürzt krachend zusammen.
Gar manche Gasse wird mir fehlen,
die ich nur ungern vermisse,
wo ist das Haus, wo ich geküsst
der Liebe erster Küsse?«
Tobias dachte bei diesen Worten wieder an Caroline, und plötzlich wurde ihm die Kehle eng. Da bemerkte er einen leichten Windzug. Eigentlich war das in einem Ballon gar nicht möglich. Der war stets genauso schnell wie die Luftströmung, die ihn trug. Das konnte nur bedeuten …
»Merken Sie es?« rief Borchert hinter ihnen gegen das Schnaufen der Dampfmaschine an und deutete hinüber zur Luftschraube. »Düsse Teufelserfindung funktioneert. Nich gut, ober se funktioneert.«
Inzwischen flogen sie in fast vierzig Metern Höhe über die Binnenalster, auf der kleine weiße Flecken zu erkennen waren. Die berühmten Schwäne der Stadt.
Tobias wurde sich plötzlich des Umstands bewusst, dass er soeben Zeuge eines einmaligen Anblicks geworden war. Er flog über das alte Hamburg, wie es nie wieder sein würde. Nur – freuen konnte er sich nicht darüber.
»Ah. Werfen Sie einen Blick nach Osten!« rief Heine aufgeregt. Er beugte sich ein wenig über den Korbrand der Gondel und deutete in die Richtung jenseits des östlichen Stadtwalls. »Erkennen Sie den Schienenstrang dort hinten, nördlich des Elbufers?«
Tobias folgte dem Fingerzeig und entdeckte durch den vielen Rauch hindurch die schmale Trasse der Eisenbahn, die in sanften Biegungen von Hamburg fort nach Bergedorf führte.
»Leider habe ich kein Fernrohr dabei.« Heine ärgerte sich. »Doch ich bin mir sicher, am Horizont etwas Metallisches im Sonnenlicht aufblitzen zu sehen. Wenn ich mich nicht irre, war das die Eisenbahn. Sie fährt also tatsächlich heute schon. Allerdings hat sie einige Kilometer Vorsprung.«
Tobias folgte der Trasse mit seinen Blicken, so gut es eben ging.
»Wir werden sehen«, meinte er
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