Der Gärtner von Otschakow
Tropen. Seine Mutter kochte Einmachgläser im großen Kochtopf aus. In der linken Waagschale auf dem Fensterbrett lag in einem Beutel schon abgewogener Zucker. Igor wäre fast über einen Korb voller kleiner Tomaten gestolpert, die auf ihr Schicksal warteten.
»Kommst du zum Frühstücken?«, fragte seine Mutter im Umdrehen.
»Nein, bloß so«, antwortete Igor und zog sich wieder in den Flur zurück.
Die Sonne, die ihre Stellungen von der Hauptstadt ins Umland verlegt hatte, hing genau in der Mitte des Himmels, fast über dem Busbahnhof. Und das, wo man im Fernsehen allen Kiewern Regen versprochen hatte. Im Gehen sah Igor hoch in den tiefblauen Himmel und lächelte. Irpen hatte das Recht auf seine eigene Wetterprognose, mochte es sich auch nur zwanzig Kilometer von Kiew entfernt befinden. In Kiew [185] regnet es? Na, soll es ruhig! In Irpen ist goldener, sonnenbeschienener Herbst!
Sein ursprünglicher Plan, zur örtlichen Poliklinik zu gehen und einem Venerologen das Papier mit der Diagnose aus Otschakow zu zeigen, gefiel Igor schon lange, ehe er dort ankam, nicht mehr. ›Jemand sieht mich vorm Behandlungszimmer und berichtet meiner Mutter, dass ich wegen was Ungutem behandelt werde! Das gibt ein Theater!‹, dachte er. Da stach ihm, sehr passend, das Apothekenschild ins Auge. Igor ging hin und spähte ins Innere. Er wartete an der Tür, während drinnen eine alte Frau in Wattejacke ihre Rezepte durch das Fensterchen schob. Als die Frau herauskam, huschte Igor schnell hinein. Die ältere Apothekerin lächelte den neuen Kunden erwartungsvoll an.
»Entschuldigen Sie, es ist für eine Bekannte. Ich weiß nur nicht, was ich ihr bei der Diagnose kaufen soll… Sie selbst geniert sich.«
Die Frau im weißen Kittel nahm das Papier in die Hand, setzte eine Brille auf die Nase und vertiefte sich in das Geschriebene.
»Ich würde mich auch genieren«, bestätigte sie und wandte den Blick von dem Blatt zu Igor. »Will sie sich denn nicht ambulant behandeln lassen? Geniert sie sich da auch?«
Igor geriet in Verwirrung. »Nein, sie kann nicht ambulant… sie hat Angst, sie verliert ihre Arbeit.«
Die Apothekerin warf einen nachdenklichen Blick auf die Schubladenwand hinter ihrem Rücken.
»Also, wenn Sie die Behandlung persönlich überwachen«, sagte sie, »dann…«
»Das tue ich, auf jeden Fall«, versprach Igor, der gern [186] wieder aus diesem Medikamentenparadies geflohen wäre. Er fürchtete die ganze Zeit, dass noch jemand hereinkommen und Zeuge ihres Gesprächs werden würde.
»Und Sie, junger Mann, brauchen keine Behandlung? Das ist doch keine sehr angenehme Krankheit!«
»Nein, ganz sicher nicht«, antwortete Igor überstürzt und warf einen Blick zur Tür. »Ich bin mit meiner Bekannten befreundet, ich schlafe nicht mit ihr!«
Die Apothekerin nickte, setzte sich und begann etwas auf ein Blatt Papier zu notieren. Igor war mit seinen Nerven am Ende. Da ging die Eingangstür auf und eine junge Frau kam herein. Auf ihren Wangen glänzte ein ungesundes Rot, die tränenfeuchten Augen baten um Hilfe.
»So.« Die Frau im weißen Kittel riss sich endlich von ihrem Papier los. »Ich habe hier alles aufgeschrieben: die Reihenfolge, wann und wie viel. Dreizehn Medikamente insgesamt. Von Ihnen bekomme ich 830 Griwni.«
Igor erstarrte und befühlte mechanisch seine Jackentaschen. Er wusste, dass er etwa hundert Griwni bei sich hatte, aber achthundert?!
»Ich komme gleich, bin in einer halben Stunde wieder da!«, sagte er und sah rasch zu der hinter ihm stehenden Frau, die sich den Mund mit ihrer kleinen Hand bedeckte und immer wieder hustete. »Ich dachte nicht, dass es so teuer ist… Legen Sie es zurück, bitte, ich…«
»Es sind die Antibiotika, die so viel kosten, aber ohne die geht heute gar nichts mehr!« Die Apothekerin breitete verständnisvoll die Arme aus. »Also nehmen Sie sie?«
»Ja, ja«, versicherte Igor ihr, während er vom Ladentisch zurücktrat. »Ich hole nur rasch Geld!«
[187] Die Mittagszeit wollte Igor dem häuslichen Müßiggang widmen – mit diesen Worten beschrieb seine Mutter manchmal den üblichen Zeitvertreib ihres einzigen und nicht besonders tüchtigen Sohnes. Doch es wurde nichts aus dem Müßiggang. Kaum hatte Igor das Fernsehprogramm seiner Mutter in die Hand genommen, um herauszufinden, womit das Fernsehen ihn heute beglückte, rief Koljan an.
»Ich hoffe, du bist daheim!«, tönte er fröhlich.
»Ja.«
»Ich sitze schon im Bus. Mit Fleisch und einer Flasche. Obwohl,
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