Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
»Doch derr Dirrecteur de la Compagnie hat vorrgesorrgt, Ihr Durrchlauchteten und Verrfinsterrten von Rothenburg!« Er deutete nach hinten zum Vorhang. Susannas Herz schlug schneller, ihre Hände wurden feucht. »Zum errsten Mal in Euern Mauern und nur für Euch aus London angerreist, Hochwohlgeborene und tiefunwohl zurr Welt Geschissene, zum errsten Mal an den Uferrn der Tauberr – der Pickelherring!«
Der Vorhang wurde zur Seite gerissen, eine Gestalt in orangefarbenem und mit lauter gelben und blauen Rauten gemustertem Kostüm flog in einem Hechtsprung auf die Bühne, schlug eine Rolle vorwärts und stand zwei Sprünge später breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Fäusten am vorderen Bühnenrand.
Susanna klatschte in die Hände und rief: »Bravo!« Auch manch anderer vor der Bühne jubelte laut, und alle applaudierten – wenn auch nicht so stürmisch, wie Susanna es sich für David erhofft hatte. Und für ihr Kostüm. Die Leute wussten nicht recht, was sievon der Neuerung halten sollten. Vor drei Tagen noch Jean Potage auf Bärenjagd und jetzt dieser bunte Geselle?
»Werbeoffiziere hier?« David schirmte die Augen mit der Hand ab, tat, als hielte er angestrengt Ausschau. »Einen Helden wie mich will der Tilly nämlich um jeden Preis in den Reihen seiner Soldaten.« Er mimte einen leichten englischen Akzent, wie Susanna ihn unter englischen Soldaten in Heidelberg gehört hatte. »Einen tollkühnen Kämpfer wie mich, den es nicht einmal vor dem Teufel graut.« Er ballte die Fäuste, schlug nach unsichtbaren Feinden, und die Rothenburger kicherten, und Susanna war stolz, ihn in dem Kostüm zu sehen, das sie ihm geschneidert hatte.
Seit sechs Tagen bauten die Gaukler ihre Bühne hier an der Tauber auf, in Rothenburg selbst nun schon zum zweiten Mal. Nach Ostern waren sie von Stuttgart hinauf an den Main bis nach Würzburg gezogen. Dort aber herrschte ein grausamer Fürstbischof, der zwar Zahnbrecher, aber keineswegs Spaßmacher in der Stadt dulden wollte. Weit lieber ließ er die Häuser seiner Bürger und die Wagen der Reisenden nach Hexen durchsuchen. Als dessen Schergen ihre misstrauischen Blicke auf Susanna und die Landgräfin zu werfen begannen, brach Stephan den Marktstand sofort wieder ab, und seine Gaukler suchten das Weite, noch ehe er einen einzigen Würzburger Zahn gezogen hatte.
Den Sommer über fuhren sie dann den Main herunter und durch den fränkischen Wald hierher in das Gebiet der freien Reichsstadt Rothenburg. Man glaubte lutherisch hier, und ein Gaukler konnte sich über Jesuiten und Bischöfe lustig machen, ohne um seinen Kopf und seine Haut fürchten zu müssen.
Auf der Bühne hörte David urplötzlich auf, um sich zu schlagen. Mit über den Schultern gespreizten Händen, mit ängstlich vorgebeugtem Kopf und auf einem Bein balancierend, starrte er auf den Boden. »Da!« Mit ausgestreckter Linken deutete er auf die Bühnenbretter zu seiner Schuhspitze. Susanna sah, wie die Rothenburger die Hälse reckten; ein Vater nahm seinen Sohn aufdie Schultern, damit er sehen konnte, was den englischen Pickelhering so erschreckte. »Eine Ameise!«, rief David und flüchtete sich zitternd an den Bühnenrand hinter Stephan. Die Leute von Tauberbischofsheim lachten.
Die letzte Septemberwoche neigte sich erst, und dennoch ging Susanna nicht mehr ohne Mantel ins Freie. Sogar Frost hatte es schon gegeben. In den Dörfern kündeten die Alten einen harten Winter an. Stephan plante, zum Beginn des Weihnachtsmarktes in München zu sein. Im nächsten Frühjahr wollte er dann nach Kärnten und von dort in die Republik Venedig ziehen. Er hatte genug von den Deutschen und ihrem Krieg.
Jetzt aber musste er erst einmal an den Bühnenrand gehen und Krieg gegen eine Ameise führen. Das tat er mit ausladenden Gesten und unter lautem Geschimpfe. Um die Ameise zu töten, rammte er seinen Stiefelabsatz so kräftig gegen die Bretter, dass die Bühne erzitterte. Der englische Pickelhering atmete erleichtert auf.
Doch schon tapste Bela auf die Bühne – auf den Hinterläufen und mit Sturmhaube, Degen und Muskete geschmückt. Die Rothenburger begrüßten ihn mit Applaus. »Wer zieht mit uns in den Krieg?«, tönte eine eidgenössisch gefärbte Stimme aus dem Nichts. »Wer kämpft mit uns für Kaiser, Papst und Reich?« Stürmisches Gelächter erhob sich unter den etwa zweihundert Zuschauern vor der Bühne, vor allem die Kinder hatten ihre Freude an dem kriegerischen Tanzbären.
»Ich jedenfalls nicht«, erklärte
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