Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
küssen.
»Nicht!« Susanna machte sich los und huschte durch die Dämmerung zu den Wagen. Die Katze sprang ihr hinterher.
Am nächsten Morgen kam es, wie es kommen musste: Der lutherische Prediger von Rothenburg und zwei hohe Herren des Magistrats standen nebst Feldschütz und zwei Angehörigen der Bürgerwacht vor dem Stand der Gaukler. Wider des ausdrücklichen Wunsches des Magistrats habe Stephan unzüchtige Reden verlauten lassen. Prediger und Ratsherren machten ernste Mienen, Feldschütz und Gehilfe guckten grimmig. Der Pranger würde bereits aufgebaut, erklärte einer der Bürgerwächter mit knappen Worten, und finde man in einer Stunde noch einen einzigen Gaukler in der Stadt, würde auch bald jemand daran stehen, und das nicht zu kurz.
Hals über Kopf flohen die Gaukler aus Rothenburg.
Tagelang zogen sie von Markt zu Markt durch den fränkischen Bergwald nach Norden auf Windsheim zu. Von den Sängern und den Leuten, die zum Zahnbrechen auf die Bühne kamen, hörten sie die neusten Nachrichten: dass in Rom ein neuer Papst regierte, wie gut man es jetzt als Einwanderer in Spanien hatte, dass der Gulden an Wert verlor und dass der Tilly dem Tollen Halberstädter bei Stadtlohn mächtig aufs Maul gehauen hatte.
Eine Tagesreise vor der Stadt trafen sie Kaufleute, die mit drei Fuhrwerken zum selben Ziel hin unterwegs waren, nun aber kehrtgemacht hatten, um nach Ansbach zu fliehen. Die erzählten schlimme Geschichten von kosakischen Reitern, die bei der Eroberung von Heidelberg für den General Tilly gekämpft hatten und nun auf dem Weg in ihre Heimat eine Spur der Verwüstung hinter sich herzogen. Starr vor Schreck hörte Susanna von brennenden Dörfern, von Überfällen auf Bauernhöfe, von ganzenHerden gestohlenen Vieh, und dass die Kosaken jetzt die Stadt Windsheim bedrohten und Geld und Proviant verlangten.
Stephan zögerte keinen Augenblick und kehrte ebenfalls um; die Gaukler lenkten ihre beiden Wagen ebenfalls Richtung Ansbach. Aus Furcht vor den grausamen Reitern mieden sie jedoch den direkten Weg und fuhren statt auf den großen Landstraßen auf Nebenwegen. In einem Dorf an der Zenn brach über Nacht der Winter mit solch schneidender Kälte und so heftigem Schneefall ein, dass sie Zuflucht in einem Bauernhof suchten und fanden.
*
Auf einem Tisch neben dem Altar hatten sie eine Krippe aufgebaut, überall brannten Kerzen, den Chorraum schmückte buntes Schnitzwerk und zwischen den Fenstern hingen Bilder mit biblischen Szenen – Susanna konnte sich nicht sattsehen. Die Vituskirche von Handschuhsheim und die Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg waren schmucklose, ja kahle Hallen gewesen im Vergleich mit dieser lutherischen Dorfkirche. Und dann die Lieder und die Gebete – Susanna wurde es ganz warm ums Herz.
Es war Heiligabend, die Leute von Neuhof – so hieß das Dorf an der Zenn – drängten sich in der Kirche. Sogar Stephan und David hatte der Bauer überreden können, mit ihm und seiner Familie den lutherischen Gottesdienst zu besuchen. Er war mit dem Prediger befreundet, und weil der auch die Gaukler mit Handschlag begrüßte – außer Lauretta natürlich, der tätschelte er die Schulter, als er endlich merkte, dass ihre Hände gelähmt waren –, hörten die Leute von Neuhof auf, sie misstrauisch und verächtlich zu beäugen.
Susanna hätte es sowieso nicht gemerkt. Das schöne Licht, die Bilder, der Gesang – das alles wühlte sie viel zu sehr auf. Bei der dritten Strophe des zweiten Liedes brach ihr schon vor Rührung die Stimme. Es ist der Herr Christ, unser Gott , sang die Gemeinde, d er will euch führn aus aller Not , und Susanna lehnte den Kopf gegen Mariannes Schulter und weinte.
Von der Predigt verstand sie kaum die Hälfte – der lutherische Pfarrer namens Leonhard sprach recht eintönig und dazu in einem breiten fränkischen Dialekt. Doch das störte sie nicht; der Gottesdienst machte sie einfach nur froh. Als Susanna merkte, dass David sie von der Seite musterte, wischte sie sich die Tränen ab und lächelte ihm ins sorgenvolle Gesicht.
Später, als sie sich zwischen David und Marianne von der Menge zum Ausgang der Kirche schieben ließ, musste sie an jene Stunde in der Heilig-Geist-Kirche zurückdenken, in der sie Gott erst um einen schnellen Tod und dann um Rettung anflehte, während draußen über Heidelberg der Gewittersturm tobte. Bald anderthalb Jahre war das her – und sie lebte noch.
Beim Bauern gab es Gänsebraten, Rüben und eingestampfte Bohnen. Seit Stephan ihm
Weitere Kostenlose Bücher