Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
im Sommer eine Lagerhalle durch Blitzschlag niedergebrannt. Hannes half ihm, eine neue zu errichten. Dann fiel der erste Schnee, und er hatte keinen einzigen englischen Komödianten auf dem Heumarkt zu sehen bekommen.
An Weihnachten taute der Schnee, in Köln riss der Rhein Eisschollen sogar durch ufernahe Gassen. Keller standen unter Wasser, das Eis zertrümmerte Hausfassaden und Brückenpfeiler. Das Jahr 1624 begann dann wieder mit Schnee und Frost, und der Rhein fror erneut zu. Die Schneeschmelze Ende Februar brachte das nächste Hochwasser und den nächsten Eisgang.
Der Magistrat von Köln beauftragte Hannes’ Zimmermeister, eine der zerstörten Brücken wieder aufzubauen. Keine leichte Arbeit; sie zog sich bis Ende März hin, und der Meister brauchte jeden Mann. So ging auch die Fastnachtszeit ohne englische Komödianten vorüber. Viel zu spät nahm Hannes Abschied von seinem Meister, um zur Ostermesse nach Frankfurt aufzubrechen. Erst gestern Abend war er in Frankfurt angekommen.
Vor der Mainbrücke mischte Hannes sich unter die etwa sechzig Zuschauer vor der Bühne der englischen Akrobaten. Sofort tauchte ein zwergwüchsiger Mann vor ihm auf und streckte ihm einen Hut und zwei seiner dicken Finger unter die Nase. Hannes warf zwei Kreuzer in den Hut. »Ich suche einen Engländer«, sagte er. »Greenley. Kennst du ihn?« Der Zwerg zuckte nur mit den Schultern und verschwand in der Menge. Auf der Bühne verbeugten sich gerade drei Männer, und die Zuschauer klatschten mäßig begeistert. Dann kam einer in rotem Fransenröckchen und sehr engen Hosen, der auf ein Seil stieg, das in etwa zwölf Fuß Höhe angebracht worden war. Ein Mann in gestreiftem Kostüm und mit seltsam großen Schuhen warf ihm eine Posaune hinauf, die der Seiltänzer gleich beim ersten Versuch fing. Danach stieß er, frei auf dem Seil stehend, in das Instrument. Die Zuschauer applaudierten, und Hannes fragte sich, wie man ohne jeden Halt auf einem dünnen Seil einen derart kräftigen Posaunenklang erzeugen konnte.
Doch es kam noch besser: Der Seiltänzer ging in die Knie, klemmte das Instrument zwischen die Zähne, fasste das Seil rechts und links seiner Füße und senkte langsam den Kopf. Totenstille herrschte plötzlich vor der Bühne, denn auch der Letzte erkannte, dass der Mann im Begriff war, einen Kopfstand zu versuchen. Auch Hannes hielt den Atem an.
Der Seiltänzer streckte die Beine in die Höhe, das Seil schwankte. Dann ließ er es mit der linken Hand los, griff mit der rechten zur Posaune und blies dreimal hintereinander hinein. Die Zuschauer klatschten begeistert, auch Hannes.
Der Posaunist kletterte herunter, und nun stieg der im närrischen Kostüm über eine Leiter aufs Seil hinauf, balancierte hinüber und herüber, jonglierte dabei erst mit drei, dann mit vierBällen und tat bei fast jedem Schritt so, als würde er beim nächsten das Gleichgewicht verlieren. Die Zuschauer wanden sich in lustvollem Schrecken und in Gelächter.
Ein dritter trat unter das schwankende Seil, vollführte hohe Sprünge, überschlug sich mehrmals in der Luft, bevor er wieder auf die Füße fiel. Und über ihm stand der Närrische einbeinig auf dem Seil und brachte es mächtig zum Schaukeln.
So ging es noch eine ganze Zeit, und die Leute vor der Bühne hatten ihren Spaß. Nach dem Schlussapplaus zerstreuten sie sich schnell. Hannes ging zur Bühne, wo der Zwerg schon das eingenommene Geld zählte. »Ich suche einen englischen Komödianten«, rief Hannes den Männern zu.
Die Artisten verständigten sich in ihrer Sprache, und der Närrische setzte sich an den Bühnenrand zu Hannes. »Hier sind vier englische Komödianten«, sagte er freundlich. »Such dir einfach einen aus.« Offenbar war er der Einzige, der Deutsch sprach.
»Der, den ich suche, heißt Greenley.«
»Der Alte Komödiant?« Der Seiltänzer im Narrenkostüm lachte und winkte ab. »Der muss doch seine Bühne schon lange nicht mehr hier unten am Main bei den Buden der Spielleute und Gaukler aufbauen.« Er deutete in die Stadt hinein. »Dem Greenley erlaubt der ehrwürdige Magistrat von Frankfurt bereits seit zwölf Jahren seine Komödien und Tragödien in der ›Sanduhr‹ aufzuführen. Vorgestern habe ich ihn dort als Pickelhering gesehen.«
Hannes beschrieb Susanna und, so gut er eben konnte, auch den jungen Gaukler. Der Seiltänzer zuckte nur mit den Schultern und beschrieb ihm den Weg zu dem Ort, den er »Sanduhr« nannte.
An vielen Marktständen vorbei ging Hannes in die
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