Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
schon ungeschickt an, als er sich nur verbeugen und die Hand der Dame küssen wollte; fast wäre er gestolpert vor lauter Aufregung. Gerade noch konnte die Schöne ihn festhalten. Schallendes Gelächter erhob sich auf dem Klosterhof. Überall hinter den Balkonbalustraden, auf den Vordächern und unten am Bühnenrand freuten sich die Nürnberger über den närrischen Kerl.
Auch die junge Frau an Davids Seite lachte. Susanna. Er hörte es gern und spähte zur Seite – wie schön sie aussah, wenn sie lachte; wie ihre dunkelblauen Augen dann leuchteten, wie reizend die Linien ihres großen Mundes sich dann nach oben schwangen und Grübchen in ihrer weißen Wangenhaut entstehen ließen.
Je länger die Gaukler durch den Frühling der fränkischen Wälder zogen, desto öfter sah der David Susanna lachen.
Gut so.
Unten auf der Bühne tänzelte nun die reiche Grazie um den Studenten herum. Sie bezirzte ihn mit süßen Worten, er trat von einem Bein auf das andere und zerknautschte vor lauter Verlegenheit seinen Hut. So viel Ungeschicklichkeit in Liebesdingen machte den Nürnbergern einen Heidenspaß. Hier und da mischten sich Anfeuerungsrufe in das Gelächter. »Merkst du denn nicht,was sie von dir will, du Dummkopf?«, fragte einer der Halbwüchsigen auf dem Vordach unterhalb von Davids und Susannas Balkonplatz. Und ein anderer rief: »Gib doch deinem Herzen einen Stoß, Pickelhering! Küss sie doch einfach!«
Von einer Ehebrecherin hieß die Tragödie, ein deutscher Herzog hatte sie gedichtet. So jedenfalls stand es auf dem Theaterzettel, den ein englischer Trommler David auf dem Nürnberger Hauptmarkt in die Hand gedrückt hatte. Ganz unten auf dem Zettel entdeckte er den Namen des Pickelherings und Prinzipals: Christopher Greenley.
Der spielte den Liebestölpel dort unten. Über dem Pickelheringkostüm trug er einen geflickten Wollmantel, sein weiß und rot geschminktes Gesicht umrahmte das lange Haar einer dunklen Perücke. Hinter Maske und Kostüm der Verführerin steckte ebenfalls ein Mann. David merkte es nicht an der Stimme, sondern an den breiten Schultern.
Seit einer Woche spielte Greenleys Wandertheater im Heilsbrunner Hof, einem ehemaligen Klosteranwesen im Norden der Reichsstadt. Die rechteckige Bühne erinnerte David an Arenen, wie er sie schon in der Republik Venedig und im Königreich Frankreich gesehen hatte. Selbst die Zuschauer an ihrem Rand sahen nicht zu ihr hinauf, sondern auf sie hinab.
Die alten zwei und dreistöckigen Gebäude und die Klosterkapelle umrahmten die vertiefte Bühne. In den Erkern, an den Brüstungen der Wandelgänge und auf den Balkonen drängten sich Nürnberger Bürger, darunter verblüffend viele junge Zuschauer. Sogar auf den schrägen Dielen der Vordächer hockten sie. David schätzte, dass mindestens vierhundert Menschen gekommen waren, um die englischen Komödianten zu sehen. Es war das zweite Stück, das sie an diesem Nachmittag spielten. Das erste – die Geschichte des dänischen Prinzen Hamlet – hatte David weit mehr ergriffen; allerdings war es entschieden weniger lustig gewesen.
Manchmal wanderte Davids Blick zur linken Hofseite, wo vorden Wirtschaftsgebäuden ein Maler mit langem rötlichen Haar auf einem leeren Ochsenwagen vor seiner Staffelei stand. Der lugte ständig hinter seiner Leinwand hervor, und sein Pinsel flog zwischen Palette und Bild hin und her.
Je weiter die Geschichte der Ehebrecherin ihrem Höhepunkt entgegenstrebte, desto trockener wurde Davids Mund. Sein Atem ging schneller, ständig fuhr seine Rechte in die Jackentasche und tastete nach dem Haarzopf seiner Mutter. An Greenley lag das, nicht an der Geschichte. Bald würde David ihm gegenüberstehen. Ihn befiel eine eigentümliche Erregung, wenn er daran dachte. Als würde etwas unerhört Neues bevorstehen; etwas, das zugleich nach Abschied schmeckte. David ahnte, dass er dem Engländer nie wieder begegnen würde, wenn er ihn ein drittes Mal an sich vorbeiziehen ließ.
Unten auf der Bühne drückte die reiche Frau den Studenten endlich an jene Stelle, wohin sie ihn von Anfang an mit vielen schmachtenden Worten zu locken versucht hatte – an ihren Busen. Dort hing der unerfahrene Bursche nun und machte eine ziemlich jämmerliche Figur.
»So ähnlich siehst du aus, wenn Bela dich als Beute auf der Bühne herumschleppt«, flüsterte Susanna und hatte ihren Spaß.
Sie trug ihr blumenbesticktes nachtblaues Kleid. Die schwarzen Locken hatte sie sich mit Band und Spangen hinter die Ohren
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