Der gefährliche Traum (German Edition)
nicht mehr lange dauern«, meinte Fritzi.
Max war so in Gedanken versunken, dass er ihr nicht mehr folgen konnte. »Was wird nicht mehr lange dauern?«
»Bis die Legende in Erfüllung geht. Das Gesicht ist ja kaum noch zu sehen.« Fritzi deutete nach oben zu dem steinernen Abbild.
Am liebsten hätte Max gefragt, was dem Mädchen zugestoßen war, aber Fritzi wechselte plötzlich das Thema.
»Was liest du da eigentlich? Ist das nicht ein Buch aus unserer Bibliothek? Einige von denen haben auch solche Signaturen.«
Eigentlich hätte Max ihr ruhig sagen können, dass das Buch aus der Schlossbibliothek war, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er wollte es für sich alleine haben, vor allem wollte er das Kapitel über das verschwundene Mädchen in Ruhe lesen.
»Ich überlasse dir den Platz. Du hast gewonnen.« Max stand auf und ging davon, ohne Fritzi eine Antwort zu geben.
Völlig verdutzt sah sie ihm hinterher.
Das verschwundene Mädchen
K aum hatte Max das Gärtnerhaus betreten, wurde er von seiner Mutter gebeten, ihr beim Möbelrücken zu helfen. Danach gab es Abendessen. Erst als Max in seinem Bett lag, hatte er endlich Zeit, das Kapitel über das verschwundene Mädchen zu lesen. Aufgeregt blätterte er die Seiten durch, bis er die gesuchte Stelle fand. In dem Augenblick, als er die Überschrift las, war Max abgetaucht in eine längst vergangene Zeit. Er bemerkte nicht mal das aufkommende Gewitter, so sehr zog ihn die Geschichte in seinen Bann.
Von dem spurlosen Verschwinden der kleinen Friederike von Hohenstein im Jahre 1649
Eine der schrecklichsten Tragödien, die unserer geliebten Heimat jemals widerfahren war, ereignete sich am helllichten Tag des 17 . Juli im Jahr 1649 . Der auf das Grauenvollste wütende und brandschatzende Dreißigjährige Krieg war gerade erst vor einem Jahr beendet worden. Viele herrenlose Soldaten, Deserteure und heimatlose Bauernfamilien zogen durch die deutschen Lande. In ihrer Not schlossen sie sich zu marodierenden Räuberbanden zusammen und überfielen Gasthäuser, Höfe und Reisende. Der dichte Spessartwald mit seinen zahlreichen Verstecken und vielen wechselnden Herrschaftsgrenzen bot für sie eine ideale Grundlage. Immer wieder wurden die Straßen Schauplätze spektakulärer Raubüberfälle, an die noch heute zahlreiche Gedenksteine erinnern. Eines dieser schrecklichen Verbrechen geschah im Wald auf dem Weg von Schloss Hohenstein hinab in unser geliebtes Heimatstädtchen. Der Weg war wie alle Wege damals wenig befahren und schlecht. Schatten riesengroßer Fichten, Buchen sowie uralter Eichen verfinsterten den schmalen Fahrweg. Die herrschaftliche Kutsche war gerade dabei, die elfjährige Friederike von Hohenstein mit ihrem Kindermädchen zu ihrer Tante nach Wertheim zu bringen. Der Grund für diese beschwerliche und, wie sich zeigen sollte, gefährliche Reise ist nicht bekannt. Doch nur wenige hundert Meter vom elterlichen Schloss entfernt wurde die Kutsche Opfer eines gemeinen Überfalls. Eine ausgehobene Grube auf dem Fahrweg hatte zum Achsbruch geführt. In genau diesem Augenblick sprangen ein Dutzend maskierte Männer aus dem Gebüsch. Sie zogen den Kutscher vom Kutschbock und die sechs Begleitsoldaten von ihren Pferden und erschlugen sie aufs Brutalste. Dann zündeten sie Rauchbomben, die sie ins Wageninnere warfen. Die Insassen, Friederike von Hohenstein und ihr Kindermädchen, taumelten angsterfüllt aus der Kutsche und wurden sofort gefesselt und geknebelt. Mit einem Pflugeisen brachen die Räuber die Reisetruhe auf und entwendeten alle Wertgegenstände. Danach händigten sie dem Kindermädchen einen Brief aus, in dem die Höhe des Lösegeldes und der Übergabeort standen. Mit Friederike als Beute verschwand die Bande im Dunkel des Waldes. Am liebsten hätte Baron von Hohenstein seine Soldaten den Wald durchkämmen lassen, aber die Drohung im Brief war überdeutlich. Sollte auch nur ein Soldat zu sehen sein, würden die Räuber nicht zögern, dem Mädchen die Kehle durchzuschneiden. Zähneknirschend war der Schlossherr zu einer Geldübergabe bereit. Doch irgendetwas, die historischen Quellen schweigen darüber, schlug fehl. Sowohl das Mädchen als auch die 500 Silbergulden blieben für immer verschwunden. Die Räuberbande aber wurde dank des damaligen Amtmanns gefasst und hingerichtet. Trotz qualvoller Folter gaben die Räuber nichts über Friederikes Schicksal oder den Verbleib des Lösegeldes bekannt. Die Frauen der Räuber steckte man kurzerhand ins
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