Der Gefährte des Wolfes: Tristan (German Edition)
denkt anders als wir. Sie halten sich an ihre eigenen Gesetze und Traditionen, und viele wirken für Nichtmitglieder zu hart und grausam. Anders als Mary und Conrad glaub‘ ich aber schon, dass es einen Versuch wert ist, sie zu fragen. Herzlos sind sie nicht. Ihre Gesetze haben sie über Jahrhunderte hinweg geschützt.«
Tristan nickte, begierig darauf, etwas – irgendetwas – zu unternehmen, das Benjamin vielleicht retten konnte. »Wann brechen wir auf?«
»Triff mich nach dem Essen hinterm Stall. Wir werden aber zu Fuß gehen müssen, weil die Pferde durchdrehen, sobald sie die Wölfe wittern.«
***
Tristan verließ das Haus, als es zu dämmern begann. Gerade wanderten die letzten, warmen Sonnenstrahlen über den Himmel und tauchten die Wolken in rotes Licht. Er hatte den Nachmittag damit verbracht, Benjamin mit Stückchen von Marys Apfeltasche zu füttern, und hatte sich dabei mit Absicht sehr ungeschickt angestellt, damit Benjamin seine Finger ablecken konnte.
Mehrmals hatte er darüber nachgedacht, Benjamin von seinem Plan zu erzählen, das Rudel zu besuchen, aber er fürchtete, dass er Conrad und Mary zustimmen und versuchen würde Tristan aufzuhalten. Im Herzen fühlte Tristan, dass es eine Antwort auf dieses Rätsel geben musste und dass das Rudel ihm dabei helfen konnte, sie zu finden.
»Eine wunderschöne Nacht«, flüsterte Tristan ehrfürchtig, als er sich Josh näherte. »Ich spüre, dass etwas Bedeutsames passieren wird. Die Luft ist mit uralter Magie aufgeladen.« Er versuchte, sich daran zu erinnern, ob er schon mal während eines Dreiviertelmondes draußen gewesen war, seit er hier angekommen war.
Josh löste sich von der Stallwand, an der er rauchend gelehnt hatte, während er auf Tristan gewartet hatte. »Mach dir nur nicht zu viele Hoffnungen«, warnte er. »Vielleicht lassen sie uns gar nicht erst rein.«
»Aber fragen kostet ja nichts«, entgegnete Tristan um einen lockeren Tonfall bemüht. Er wollte Josh nicht mit einem Notfalls zwinge ich sie eben dazu verschrecken, obwohl ihm genau dieser Gedanke durch den Kopf geschossen war. Da Joshs Familie mit dem Rudel verbunden war, konnte er seine Meinung immer noch ändern und ihn nicht hinführen.
Schweigend umrundeten sie den See und betraten einen Teil des Landes, in dem Tristan noch nie gewesen war. Etwa zehn Schritte vor den Bäumen blieb Josh stehen, räusperte sich und rief mit lauter Stimme in die Nacht hinaus: »Ich rufe die Wächter des Onondaga-Rudels und bitte sie um sicheres Geleit und um eine Audienz beim Rajan .«
Tristan hörte nichts, aber er fühlte Bewegung um sie herum. Er konnte die mächtige, kontrollierte Lebensenergie wahrnehmen, die im Wald pulsierte. Als ein hochgewachsener, nackter Mann zwischen den Bäumen hervortrat, erschrak Josh, aber Tristan war nicht überrascht.
»Wer ruft die Wächter des Waldes?«
»Ich«, antwortete Tristan mit ruhiger Stimme. Fragend blickte Josh ihn an, aber Tristan fuhr fort. »Ich ersuche den Rat des Rajan. «
Mindestens sechs Augenpaare beobachteten sie, aber Tristan hielt seinen Blick fest auf den Wächter gerichtet, der vor ihnen stand.
»Und wer bist du, dass wir dich anhören sollten?«
»Tristan Northland. Meine Vorfahren haben die magischen Kräfte dieser Erde schon genutzt, lange bevor euer Rudel einen Fuß auf dieses Land gesetzt hat.«
»Hast du deine Bitte zuvor beim Rat eingereicht?«, fragte der Werwolf mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht. Er war etwa so groß wie Tristan und kräftig gebaut, mit sehnigen Muskeln und langen hellbraunen Haaren, die ihm auf die Schultern fielen. Der einzige Schmuck, den er am Körper trug, bestand aus einem silbernen Halsreif, auf dem das Bild eines Vollmondes eingraviert war.
»Nein, dazu blieb keine Zeit. Mein Anliegen ist sehr dringend.«
»Sind sie das nicht alle?«, entgegnete der Mann von oben herab. »Reich deine Bitte beim Rat ein. Sie kümmern sich während des nächsten Dreiviertelmondes um Fremrolf -Angelegenheiten. Wenn dein Problem so dringend ist, wie du sagst, werden sie dich dann empfangen.«
Wut stieg in Tristan auf und er spürte, wie prickelnde Energie über seine Haut tanzte. Er deutete auf einen kleinen, toten Busch einige Meter entfernt und leitete seinen Zorn in das trockene Holz hinein, das sofort in Flammen aufging. Josh fuhr erschrocken neben ihm zusammen, aber Tristan blieb ruhig und auf sein Ziel fokussiert. Er senkte die Stimme und richtete den Blick wieder auf den Wächter.
»Ich bin
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