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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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psychiatrischen Krankenabteilung aufzunehmen, wo die Lebensbedingungen besser waren und eine angemessene medikamentöse Behandlung erfolgen konnte. Die psychiatrische Krankenabteilung lag in Sichtweite des H-Traktes, von dem aus sie leicht zu Fuß zu erreichen war. Für die Gefangenen im Todestrakt war sie jedoch offiziell nicht zugänglich.
    Kim Marks beschrieb ihren Schützling folgendermaßen:
    Ich hatte große Angst, nicht vor ihm, sondern um ihn. Ich bestand darauf, dass wir jemanden an höherer Stelle in der Strafjustiz um Hilfe bitten. Das Haar hing ihm mittlerweile auf die Schultern und zeigte gelbe Strähnen, wo er daran gezogen hatte. Seine Finger und seine Hände ­ nicht nur die Fingerspitzen ­ waren nämlich vom Nikotin vollständig gelb verfärbt, und die Zähne faulten ihm buch­ stäblich aus dem Mund. Ich glaube, er drehte daran. Seine Haut war grau, weil er offensichtlich seit Wochen nicht mehr gebadet hatte. Er war nur noch Haut und Knochen. Seine Kleidung saß schlecht, sein Hemd sah aus, als wäre es seit Monaten nicht mehr gewaschen, geschweige denn aufgehängt oder gebügelt worden, und er tigerte auf und ab. Er konnte kaum sprechen, und wenn er es doch tat, sprühte ihm der Speichel aus dem Mund. Er brachte keinen vernünftigen Satz mehr heraus, und ich hatte wirklich Angst, dass wir ihn verlieren würden, dass er im Gefängnis aufgrund von körperlichen Krankheiten sterben würde, die durch seine geistige Erkrankung bedingt waren.
    Janet Chesley, Kim Marks und Ken Foster ließen den verschiedenen Gefängnisdirektoren, die in McAlester kamen und gingen, sowie ihren Stellvertretern und Assistenten keine Ruhe. Susan Otto, die Leiterin des Federal Public Defender's Office, des Büros der vom Staat gestellten Verteidiger auf Bundesebene, und Janets Vorgesetzte, ließ erfolgreich ihre Beziehungen beim Department of Corrections spielen. Schließlich erklärte sich im Februar 1996 James Saffle, der damals eine leitende Position beim D.O.C. innehatte, bereit, sich mit Kim und Janet zu treffen. Zu Beginn der Besprechung sagte Saffle, er habe Ron Ward, den gegenwärtigen Direktor von McAlester, bevollmächtigt, eine Ausnahmegenehmigung für die sofortige Verlegung von Ron Williamson in die psychiatrische Krankenabteilung zu erteilen.
    Aus Ron Wards Memo an den Leiter der psychiatrischen Krankenabteilung geht hervor, dass die Station für Todeskandidaten offiziell nicht zugänglich war. Hier ein Auszug daraus:
    Hiermit genehmige ich eine Ausnahme von den üblichen Betriebsvorschriften der psychiatrischen Krankenabteilung des Staatsgefängnisses von Oklahoma, in denen es heißt: »Alle Insassen des Staatsgefängnisses mit Ausnahme derjenigen im Todestrakt können das Angebot der psychiatrischen Krankenabteilung nutzen.«
    Was stand hinter diesem Gesinnungswandel? Zwei Wochen zuvor hatte ein Gefängnispsychologe ein vertrauliches Memo zum Thema Ron Williamson an einen stellvertretenden Gefängnisdirektor geschickt. Unter anderem nannte er darin zwei überzeugende Gründe, Ron in die psychiatrische Krankenabteilung zu verlegen: In unserer Teambesprechung kamen wir übereinstimmend zu dem Schluss, dass Mr Williamson psychotisch ist und wahrscheinlich von einer Umstellung seiner Medikamente profitieren würde. Allerdings fiel uns auf, dass er sich standhaft weigert, eine solche Umstellung in Betracht zu ziehen oder auch nur darüber zu sprechen.
    Wie Sie wissen, ist die psychiatrische Krankenabteilung berechtigt, die Einnahme von Medikamenten zu erzwingen, wenn dies erforderlich ist.
    Das Personal des H-Traktes hatte genug von Ron und brauchte eine Pause. In dem Memo hieß es weiterhin:
    Es gibt wenig Zweifel daran, dass sich Mr Williamsons Zustand von Woche zu Woche verschlechtert. Mir ist das aufgefallen, und die Mitarbeiter im H­Trakt erwähnen es regelmäßig. Heute sprach Mike Mullens diese Verschlechterung und die negativen Auswirkungen der psychotischen Ausbrüche des Gefangenen auf den südwestlichen Quadranten ausdrücklich an.
    Aber der beste Grund, Ron zu verlegen, war die Beschleunigung seiner Hinrichtung. Das Memo schloss:
    Meines Erachtens hat Mr Williamsons Psychose gegenwärtig ein derartiges Ausmaß erreicht, dass eine Hinrichtung aufgrund seines Geisteszustands unmöglich scheint. Eine zeitweise Unterbringung in unserer psychiatrischen Krankenabteilung könnte sehr wohl dazu führen, dass er eine ausreichende Zurechnungsfähigkeit erlangt.
    Ron wurde in die psychiatrische Krankenabteilung

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