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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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irgendwann die McAnally's-Filiale zu überfallen. Nachdem sich die Bande ein Geschäft ausgesucht habe, sei Odell hineingegangen, habe das Geld genommen, das Mädchen gepackt und seinen Kumpels erzählt, dass sie sie wohl töten müssten, damit sie sie nicht identifizieren könne. Er sei zum Kraftwerk rausgefahren. Er habe die Mehrfachvergewaltigung initiiert, indem er sich als Erster auf Denice stürzte. Er habe die Waffe gezückt, ein Sechs-Zoll-Schnappmesser. Er habe zugestochen und die junge Frau getötet. Er sei derjenige gewesen, der ihre Leiche verbrannt habe - oder auch nicht. Sie gaben zu, dabei gewesen zu sein. Aber die Hauptschuld lastete auf Odell Titsworth oder Titsdale, oder wie auch immer er hieß.
    Am späten Nachmittag des 19. Oktober, eines Freitags, nahm die Polizei Titsworth fest und verhörte ihn. Er war ein vierfach verurteilter Krimineller mit heftiger Antipathie gegen die Polizei und großer Erfahrung, was deren Verhörmethoden anging. Er blieb bei seiner Aussage. Er wisse nichts über den Fall Haraway, und was Ward und Fontenot behaupteten, sei ihm herzlich egal, ob es nun auf Video aufgezeichnet sei oder nicht. Er sei jedenfalls keinem der Herren je begegnet.
    Von seinem Verhör wurde kein Videomitschnitt gemacht. Titsworth wurde in eine Zelle gesperrt, wo ihm alsbald einfiel, dass er sich am 26. April in einem Handgemenge mit Polizisten den Arm gebrochen hatte. As Denice zwei Tage später verschwand, saß er mit einem dicken Gipsverband schwer leidend bei seiner Freundin zu Hause. In ihren Geständnissen hatten beide Männer ausgesagt, dass er ein T-Shirt getragen habe und Tattoos seine Arme bedeckten. In Wirklichkeit hatte einer seiner Arme in einem Gips gesteckt, und er war nicht einmal in der Nähe von McAnally's gewesen. Als Dennis Smith die Fakten überprüfte, fand er Krankenhaus- und Polizeiberichte, die Titsworths Geschichte zweifelsfrei bestätigten. Smith sprach mit dem behandelnden Arzt, der den Bruch als äußerst schmerzhafte Spiralfraktur zwischen Ellbogen und Schulter beschrieb. Titsworth hätte zwei Tage nach dem Bruch unmöglich eine Leiche schleppen oder jemandem Gewalt antun können - sein Arm steckte in einem Gips und der Gips in einer Schlinge. Unmöglich.
    Den »Geständnissen« wurde zusehends die Grundlage entzogen. As die Polizisten die Trümmer der Brandruine durchsuchten, tauchte der Eigentümer auf und wollte wissen, was da vor sich gehe. Sie erzählten ihm, dass sie nach den Überresten der jungen Denice Haraway suchten; einer der Verdächtigen habe gestanden, sie zusammen mit dem Haus angezündet zu haben. Das sei nicht möglich, entgegnete der Eigentümer. Er habe das Haus selbst niedergebrannt, und zwar schon im Juni 1983, also zehn Monate, bevor das Mädchen verschwand.
    Die Rechtsmediziner analysierten den Kieferknochen und stellten fest, dass er von einem Opossum stammte. Diese Information wurde an die Presse weitergegeben.
    Dagegen erfuhr die Presse nichts über die Umstände des Brandes, Odell Titsworths gebrochenen Arm oder die Tatsache, dass Ward und Fontenot ihre Geständnisse sofort widerrufen hatten.
    Im Gefängnis beharrten Ward und Fontenot auf ihrer Unschuld und erzählten jedem, der ihnen zuhörte, dass sie mit Drohungen und Versprechungen zu ihren Geständnissen genötigt worden seien. Wards Familie kratzte Geld zusammen, um einen guten Anwalt zu engagieren, und Tommy beschrieb ihm in allen Einzelheiten, welche Tricks Smith und Rogers während der Vernehmung angewandt hätten. Es war nur ein Traum, wiederholte er unzählige Male.
    Karl Fontenot hatte keine Familie.
    Die Suche nach den Überresten von Denice Haraway wurde eifrig fortgesetzt. Eine Frage drängte sich vielen auf: »Wenn die beiden gestanden haben, warum weiß die Polizei dann nicht, wo die Leiche ist?«
    Der fünfte Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten schützt gegen Selbstbelastung. Da sich ein Kriminalfall am elegantesten durch ein Geständnis lösen lässt, gibt es einen dicken und umfassenden Gesetzeskatalog, der das Verhalten der Polizei bei Vernehmungen regelt. Viele dieser Gesetze waren lange vor 1984 in Kraft getreten.
    Einhundert Jahre zuvor hatte der Supreme Court, der oberste Gerichtshof der USA, im Verfahren Hopf gegen Utah verfügt, dass ein Geständnis nicht zulässig sei, wenn zum Zwecke seiner Erlangung mit den Ängsten und Hoffnungen des Angeklagten gespielt und er dadurch seines freien Willens und der Selbstbeherrschung beraubt werde, die

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