Der geheime Name: Roman (German Edition)
zwang. Niemals könnte sie ihre Stimme zu diesem leisen Jammern zähmen, während der Herr ihr Geheimnis raubte. Wenn er auch nur halb so brutal war, wie Mora ihn kannte, müsste sie schreien vor Qual.
Mit einem Schlag begriff er, was tatsächlich mit Fina passierte: Sie war deshalb so leise, weil nur ein Echo der Ereignisse in dieser Hütte ankam. Das eigentliche Geschehen tobte in ihrem Traum, in einem Traum, der sich so echt anfühlte wie die Wirklichkeit und sich kaum davon unterscheiden ließ.
Mora schnappte nach Luft. Er kannte diese Art von Träumen, kannte sie genauer, als ihm lieb war.
* * *
Es war immer der gleiche Traum, in jeder Nacht. Doch mit jedem Mal schlichen sich die Finger des Alten weiter. Zuerst berührte er nur die Haut zwischen ihrer Jeans und dem verrutschten Bündchen ihres Pullis. Aber bald schon glitten seine Finger in das Tal hinab, das ihre Taille bildete. Im Traum darauf eroberten sie ihren Bauch. Sein Daumen begann, mit ihrem Bauchnabel zu spielen, manchmal glühte er drohend auf, und in den folgenden Nächten ließ der Alte seine Finger aufwärtswandern, stieß an ihre Brüste und fing an, sie mit heißen Händen zu kneten.
Fina wollte ihm ausweichen, wollte ihn von sich stoßen und anschreien. Doch sie war wie gelähmt. Was auch immer er mit ihr tun wollte, es fühlte sich so echt an wie die Wirklichkeit, und ihr Alptraumkörper ließ es einfach geschehen.
Es ist nur ein Alptraum, nur ein Traum, nur ein Alptraum. Wie ein Mantra beherrschte der Gedanke die Reste ihrer zerträumten Nächte. Wenn sie morgens ihrem Lager den Rücken kehrte, gelang es ihr manchmal, den Satz in den Hintergrund zu drängen. Aber spätestens am Nachmittag war er wieder da: Es ist nur ein Alptraum, nur ein Traum, und heute wird er wiederkommen, wird sich fortsetzen.
Es dauerte nur wenige Tage, bis das Mantra auch am Mittag keine Pause mehr machte. Wenn er meine Brüste hat, was nimmt er dann? Wie nimmt er es, und wie lange wird er brauchen, bis er mich ganz in Besitz genommen hat?
Alles andere trat in den Hintergrund. Sie bemerkte nicht, wie bittere Kälte Einzug in ihre Stimme hielt, hörte kaum das Lachen des Geheimen, wenn sie Mora mit dieser Stimme befahl, wenn sie ihn vor sich auf den Boden zwang, einfach nur, weil der Herr ihr in einer Laune den Auftrag dazu gab.
Nur manchmal ahnte sie die Qual, die sie Mora damit zufügte – spürte sie in dem dunklen Schmerz, der sich anfühlte, als würde sie ihn verlieren. Ganz selten fand sie die Kraft, dagegen anzugehen, dann versuchte sie, Moras Blick zu finden. Wenigstens eine Spur ihrer Verzweiflung wollte sie ihm zeigen, damit er sie verstehen konnte.
Aber Moras Kopf blieb so tief gesenkt, dass es ihr nicht gelang, seinen Blick zu erhaschen.
Doch so schlimm die Träume auch waren – während sie Stunde um Stunde in ihre Felle weinte und dem Schnarchen des Herrn lauschte, fand sie heraus, was sein Schnarchen bedeutete: Wann immer er dieses eigentümliche Wort um seine Zunge rollte, schien er so fest zu schlafen, dass ihn nichts störte. Er reagierte nicht auf ihr Weinen, reagierte nicht auf ihre Bewegung, wachte nicht einmal auf, als sie eines Nachts aus dem Bett sprang, weil sie seine Nähe nicht länger ertrug.
Fina warf einen langen Blick auf den Herrn, lauschte dem grummelnden Wort, das sich unablässig wiederholte, und begriff allmählich, dass dies ihre Chance war. Schließlich schlich sie um das Feuer herum, blieb neben Moras Lager stehen und zögerte. Sie hatte so furchtbare Dinge mit ihm getan, hatte ihn so grausam gequält, dass sie ihn wohl längst verloren hatte.
Wahrscheinlich war es zu spät, ihm noch etwas zu erklären, viel zu spät, um noch auf ihn zu hoffen.
Mora zuckte zusammen, seine Felle raschelten, und plötzlich saß er aufrecht vor ihr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an. Matter Schweiß schimmerte auf seiner dunklen Haut, seine Haare standen wirr um seinen Kopf.
»Fina!«, keuchte er, seine Stimme brach mit der letzten Silbe zu einem Flüstern.
Finas Herz stolperte, ihre Beine gaben nach und ließen sie fallen.
Mora sprang auf, fing sie und schloss die Arme um ihren Rücken. Ein winziges Wimmern strich durch seinen Atem, flüchtig und doch verräterischer als alles, was er hätte sagen können.
Was auch immer sie ihm angetan hatte – er schien ihr zu verzeihen.
»Fina.« Er flüsterte in ihren Haaren. »Was tut er dir an? Was tut er mit dir?«
Fina schloss die Augen, drückte ihr Gesicht an seine
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