Der geheime Name: Roman (German Edition)
kaum abwarten, während Mora ihn tatsächlich anzog.
Er passte ihm, schmiegte sich weich an seinen Körper. Selbst die Ärmel waren lang genug.
Fina wünschte sich, darüber zu streichen. Sie wollte die Wolle fühlen, Moras Wärme darunter.
Doch etwas war geschehen, weshalb sie ihm nicht mehr zu nah kommen durfte. Sie war die erste Frau, die ihm warme Kleidung schenkte. Und dennoch wollte sie alles andere sein als seine Mutter.
Wieder sah sie den Roma-Jungen vor sich, zusammen mit dem Mädchen, das ihn stürmisch küsste.
Mora tastete über seinen Pulli. Ein hübsches Lächeln glitt über sein Gesicht, strahlte Fina für einen kurzen Moment an.
Allein für dieses Lächeln wollte sie ihm um den Hals fallen. Stattdessen drehte sie sich um und kroch zurück in die Höhle.
* * *
Sobald sie eingeschlafen war, brach das Bibbern aus Moras Körper hervor. Auch wenn seine Haut bereits glühte und seine Muskeln schon lange wieder warm waren – aus seinem Inneren war die Kälte noch immer nicht vertrieben. Er kauerte sich auf seinem Lager unter die Felle und trank warmes Wasser, einen Becher nach dem anderen. Währenddessen konnte er nicht aufhören, das Weibchen anzusehen. Vollkommen regungslos lag sie in ihrem Teil der Höhle, mit geschlossenen Augen und weit entfernt in einer stillen Traumwelt.
Selbst als das Zittern endlich besiegt war, wagte Mora es nicht, zu schlafen. Er musste über sie wachen, konnte sie so nicht der Nacht überlassen, nicht den Kreaturen, die in ihr lauerten. Es wäre zu gefährlich, wenn sie beide schliefen.
Seit eh und je war es der Zustand, den Mora am meisten fürchtete. Während er schlief, war er ausgeliefert, ein hilfloses Opfer für jeden, der ihn angreifen wollte. Solange er denken konnte, war er nachts hochgeschreckt, kurz nachdem er eingeschlafen war – weil er die Schläge des Herrn fürchtete, die ihn allzu oft aus dem Schlaf gerissen hatten. Wenn er am Tag einen Fehler begangen hatte, wenn es einen Grund gab, die Strafe des Herrn zu fürchten, war es manchmal kaum noch möglich, wieder einzuschlafen. Viele Tage und Nächte hatte Mora auf diese Weise schon durchwacht – auch ganz ohne die Gesellschaft des Weibchens.
Dabei wusste er, wie wichtig es war zu schlafen, dass die Verwirrung den Geist holte, wenn man es zu lange unterließ. Aber in Gegenwart des Weibchens wurde seine Angst vor dem Schlaf noch größer. Wenn er selbst im Schlaf sterben sollte, wäre es ihm gleich. Aber er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas geschah.
Mora spürte ihren Pullover auf seiner Haut, ihr Geschenk, wie sie es nannte. Eines ihrer fremden Worte, das schön klang in seinen Ohren. Er fühlte die Wärme, die ihn umhüllte und mit sanften Wellen in sein Inneres vordrang.
Der Herr war immer der Ansicht gewesen, dass es gut für ihn sei zu frieren, dass es ihn von allen bösen Gefühlen läuterte und dazu anhielt, schneller zu arbeiten. Und tatsächlich war es Mora immer wie eine gerechte Strafe erschienen, die sofort richtete. Sobald er langsamer wurde, sobald er es wagte auszuruhen, ergriff die Kälte ihn und schlug mit ihren Krallen auf ihn ein. Unbarmherzig und an den kältesten Tagen sogar bereit, ihn zu töten, wenn er sich nicht ausreichend sputete. Der Geheime hatte ihm immer gerade so viel Kleidung zugeteilt, wie er brauchte, um zu überleben. Nur wenn es draußen fror und schneite, durfte er eine Fellhose, dünne Fellstiefel und eine Fellweste über dem Lederhemd tragen. Aber auch im Winter hatte der Geheime stets darauf geachtet, dass die Kleidung ihn nicht verweichlichte, und Mora hatte die Strafe der Kälte fast schon schätzen gelernt. Sie konnte alles betäuben, alles besiegen, was er nicht fühlen wollte.
Doch als er jetzt auf seinem Lager saß, in die Wärme von Finas Pulli eingehüllt, fing er an, die Kälte zu fürchten, ihre Strafe und den einsamen Tod, den er heute im See beinahe gefunden hätte. Dann säße er nun nicht mehr hier, könnte sie nicht mehr bewachen und nicht die Wärme fühlen, die sie ihm schenkte.
Mädchen. Mora ließ das Wort lautlos über seine Lippen gleiten, mit dem sie sich selbst benannte. Er wollte ihre Art zu sprechen endlich durchschauen, wollte es lernen, ihre fremden Worten zu verwenden. Er wollte sich selbst »ich« nennen und sie mit »du« anreden – weil es schön klang, wenn sie ihn so ansprach, und weil sie nicht länger glauben sollte, dass er dumm war.
Doch zu ihrer Sprache gehörte noch mehr als nur die fremden Worte. Auch manche
Weitere Kostenlose Bücher