Der geheime Name: Roman (German Edition)
fiel es schwer zu gehorchen, ihn einfach liegen zu lassen. Weitere Goldbälle flogen durch die Luke und hagelten rings um das Feuer. Draußen huschte etwas rund um die Höhle, aus nahezu allen Winkeln warf die Kreatur ihre Bälle. Dennoch gab es eine Ecke, in der kaum welche landeten. Offensichtlich bildete die Baumwurzel über ihrer Höhle einen Schutzwall, der wenigstens eine Seite abschirmte. Fina krabbelte von dort zur Feuerstelle, schob die Zweige wieder zusammen und pustete in die winzigen Flämmchen. Tatsächlich flogen die Goldbälle überallhin, nur nicht zu ihr. Auch Mora hatte sich inzwischen aus ihrer Reichweite gerettet. Schließlich begann das nasse Holz immer heftiger zu qualmen, bis eine dicke graue Säule in die Luft stieg und durch die Öffnung zog.
Fina wich ein Stück zurück, der Rauch brachte sie zum Husten – doch wenigstens war das Loch auf diese Weise endlich versperrt.
Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke: Die Kreatur müsste das Loch nur von oben abdecken, und sie würden hier unten ersticken – es sei denn, sie würden durch den Eingang fliehen und dem Wesen in die Arme laufen.
Doch niemand deckte das Loch ab, auch die Goldbälle schossen seltener zu ihnen herunter. Ein letztes Mal trappelten die Füße über das Höhlendach, dann hörte sie, wie die Kreatur davonhuschte.
Eine ganze Weile kauerte sie regungslos auf der Erde, lauschte darauf, ob Moras Herr zurückkehrte. Aber alles blieb still. Einzig der Qualm wurde von hohen Flammen durchschlagen, und das nasse Holz begann endlich zu brennen.
* * *
Mora konnte nicht mehr. Nur mit letzter Kraft gelang es ihm, zu seinem Lager zu kriechen. Sein Rücken schmerzte, seine Beine und Arme gaben nach und ließen ihn auf den Fellen zusammensinken.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Fina ihn ansah.
»Du bist verletzt«, flüsterte sie.
Klebrig und feucht rann das Blut über seine Wange, über seinen Rücken. Doch die Verletzungen waren nicht schlimm, kein Vergleich zu dem, was noch folgen würde.
»Sie muss sich nicht sorgen!« Mora wandte sich von ihr ab. Sie sollte ihn nicht so sehen, sollte gar nicht erst versuchen, ihm zu helfen. Nach allem, was er heute getan hatte, war er verloren. Noch nie hatte er dem Herrn auf solche Art getrotzt, noch nie hatte er sein Wissen über ihn ausgespielt, um seine Absichten zu durchkreuzen. Und doch waren seine Erkenntnisse so klar gewesen, so einleuchtend, als hätte er sich schon lange auf diesen Kampf vorbereitet.
Dort draußen war Mora so stark gewesen wie niemals zuvor, und jetzt erschien es ihm, als wäre jede Kraft von ihm gewichen, als hätte er die letzten Reserven verbraucht.
»Wie konntest du so sicher sein?« Finas Stimme ließ ihn zusammenzucken. »Du hast gesagt, er wollte uns nicht töten, er wollte uns nicht jagen – aber was wollte er dann?«
Mora drehte sich zu ihr um. Der Schein des Feuers tanzte auf ihrem Gesicht. Sie hob eine der Goldkugeln auf und strich darüber.
»Er wollte unsere Angst«, flüsterte Mora. »Er wollte uns zurück in die Höhle treiben, damit wir hier unten hungern und frieren.«
Fina sah zu ihm herüber, in ihrem Blick lag die Angst, von der er sprach.
Mora schloss die Augen, drehte sich zurück auf die Seite und rollte sich zusammen. Den Rest konnte er ihr nicht sagen. Dass der Herr sie zermürben wollte, dass er vor allem die letzte Kraft seines Dieners brechen wollte. Damit er wieder fügsam wurde, damit er bald vor Hunger und Kälte darum bettelte, wieder zu seinem Herrn zurückkehren zu dürfen – um alle seine Wünsche zu erfüllen.
… seinen Auftrag zu erfüllen. Er sollte dem Herrn etwas bringen. Moras leise Ahnung, worum es sich handelte, wurde immer deutlicher.
Vor allem deshalb war er dort draußen so stark gewesen – um Fina die Angst zu nehmen, um ihr die Ruhe zu geben, mit der sie standhalten konnte. Doch am meisten, um sie vor seinem eigenen Verrat zu beschützen, den er früher oder später begangen hätte, wenn sie weiter hungerten und froren.
Mora krallte die Hände in sein Schaffell. Im Gegenzug hatte er heute den Herrn verraten, hatte ihm offen gezeigt, auf wessen Seite er stand. Dafür würde der Geheime ihn töten.
Auf einmal spürte er den Drang zu heulen – wie ein Weibchen, wie ein Baby, ein Gefühl, das schon so lange zurücklag wie die erste Erinnerung an die Peitsche des Geheimen.
Jetzt war er noch mit Fina hier unten – vielleicht würden es noch ein paar Tage sein, die er in ihrer Nähe verbringen
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