Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
einem Gedicht zu tun.«
Kapitel 7
Sheila gerät in Gefahr
Die Lichter, die schon so lange und schmerzhaft vor Sheilas Augen tanzten, ordneten sich zu einem Kreis. Wie Quecksilberkügelchen liefen sie zusammen, verklebten miteinander, bildeten eine einzige Flamme wie von einer großen Fackel. Einer Fackel, gehalten von gigantischer Hand. Der Freiheitsstatue. Und dann sprach die Statue. »He«, sagte sie, »alles in Ordnung?«
Eine freundliche Stimme, und mit genau dem Akzent, den man von der Freiheitsstatue erwartete. Nur das Geschlecht stimmte nicht, dachte Sheila. Und während ihr sich mühsam aufraffender Verstand noch mit dieser Erkenntnis rang, verblaßte das gleißende Licht – oder besser gesagt, es verwandelte sich in einen stechenden Kopfschmerz. Aber die Stimme blieb. »He«, fragte sie sanft und besorgt, »alles in Ordnung?«
Sheila blieb reglos im Dunkel liegen – anscheinend lag sie auf einer Art Bett – und versuchte einen Gedanken zu fassen. Von Zeit zu Zeit unterbrach die Stimme sie dabei, die Stimme, die immer wieder in regelmäßigen Abständen dieselbe Frage stellte, wie die Anfragen, die Funkamateure in den Äther schickten. Es mochte eine Stimme von der Kamtschatka oder aus Feuerland sein; jedenfalls kam sie von weit fort, und Sheila mußte schon rufen, wenn der andere ihre Antwort hören sollte. »Ja«, antwortete sie mit einer Lautstärke, die sie selbst überraschte. »Einigermaßen.«
»Pssst!«
Die Stimme war gar nicht weit fort; sie war irgendwo nahe über ihrem Kopf. Und es war eine warnende Stimme. »Mir fehlt nichts weiter«, sagte sie leise. »Wer sind Sie?«
Der andere antwortete nicht gleich. Sheila hatte den Eindruck, daß er auf etwas horchte. Und als er antwortete, da war es seinerseits eine Frage. »Was wollen die mit Ihnen machen?« Es folgte ein kurzes Schweigen, denn Sheila wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. »Die halten Sie doch nicht etwa fest« – die Stimme klang mit einem Male rührend naiv –, »weil Sie jemanden heiraten sollen, den Sie nicht wollen?«
Diese romantische Idee, die da aus dem Dunkel zu ihr kam, brachte Sheila zur Besinnung. »Nein«, antwortete sie. »Das sind …« Dann zögerte sie. Unvermittelt war sie aus der Welt, die sie kannte, in eine andere geraten, in eine, in der sie bei jedem Menschen damit rechnen mußte, daß er ein Verräter war. »Erzählen Sie mir von sich«, sagte sie mit fester Stimme. »Wer sind Sie, was machen Sie hier?«
»Ich heiße Dick Evans, bin mit einem Rhodes-Stipendium aus Princeton hier und studiere Jurisprudenz«, antwortete die Stimme brav. »Aber hauptsächlich schreibe ich ein Buch über Caravaggio. Und ansonsten – na ja, ich liege hier oben auf dem Dachboden und bin mit einem Stück Seil verschnürt.«
Sheila sagte nichts, aber ihr Kopf schmerzte rasender denn je.
»Aber das krieg’ ich schon hin«, sagte die Stimme. »In der gräßlichen Schule, auf der ich war – gräßlich, aber teuer –, da bin ich aus jeder Klemme rausgekommen.«
Das schien ihr nicht nur nutzlos, es deprimierte sie sogar. Jemand, der auf einer gräßlichen Schule in Klemmen kam und sich dann auf Caravaggio verlegt hatte, war nicht die Art Mann, die sie jetzt brauchte. »Oh«, sagte Sheila, was ja auch nicht allzu phantasievoll war.
»Die großen Jungs haben uns kleine gefesselt und uns dann die Zehen angesengt. Aber so weh tut das gar nicht.«
Sheila, der inzwischen ein wenig übel war, quittierte es mit einem idiotischen »Nicht?«
»Manchmal haben sie uns allerdings auch verschnürt und die ganze Nacht auf dem Schuldach liegen lassen. Das war weniger schön. Das war verdammt kalt.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Und deshalb hab’ ich mir beigebracht, wie man aus solchen Fesseln rauskommt. Da kommt’s nur drauf an, daß man systematisch bestimmte Muskeln lockert. Kann ich heute noch. Mit etwas Glück sehen wir uns demnächst.« Evans hielt inne. »Sind es Spione?«
»Ja. Deutsche Agenten.«
»Ich war«, sagte Evans’ Stimme, »natürlich ganz schön wütend. Aber es geht mich ja nichts an. Ich bin in Europa, weil ich ein bißchen Jurisprudenz studieren will, und hauptsächlich wegen Caravaggio. Aus der Politik halte ich mich raus.« Wieder zögerte er. »Aber Mann!« fügte er dann versonnen hinzu. »Was freue ich mich drauf, wenn ich denen dafür die Fresse poliere!«
Das klang doch schon besser. »Ich hoffe, ich bin dabei«, sagte Sheila.
»Sie hören sich wie ein tolles Mädchen an. Sahen ja auch
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