Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr

du heute Abend Toms Tanzveranstaltung bei den Irrsinnigen ve r säumst.«
    »Ich habe gehört , Mr Snow wird gern allzu vertraulich mit seinen Tanzpartnerinnen« , sage ich.
    »Irrsinnig oder nicht , wehe ihm , wenn er es wagen sol l te« , sagt Vater , wirft sich in die Brust und prahlt wie ein pensi o nierter Marineoffizier. »Es sei denn , er ist stärker als ich. Dann müsstest du mich beschützen , mein Schatz.«
    Ich lache wieder. Er ist heute in glänzender Laune , obwohl er dünn aussieht und seine Hände mitunter immer noch zi t tern.
    »Deine Mutter wäre von der Idee eines Tanzabends im I r renhaus begeistert gewesen , das kannst du mir glauben. Sie hat das Ungewöhnliche über alles geliebt.«
    Ein Schweigen tritt ein. Vater dreht unablässig an se i nem Ehering , den er immer noch trägt. Ich kämpfe mit mir , ob ich ehrlich sein oder ihn verschonen soll. Die Ehrlichkeit siegt. »Ich vermisse sie« , sage ich.
    »So wie ich , Liebes.« Wieder herrscht einen Augenblick Schweigen. Keiner von uns weiß , was er sagen soll. »Sie wäre froh , dich in Spence zu sehen« , sagt er schlie ß lich.
    »Meinst du wirklich?«
    »Oh ja. Es war ihre Idee. Sie sagte , wenn ihr etwas zust o ßen s ollte , dann solle ich dich dorthin schicken. E i gentlich seltsam , dass sie das gesagt hat , wenn ich mir ’ s recht überl e ge. Fast als hätte sie geahnt …« Er bricht ab , blickt aus dem Fenster.
    Ich höre zum ersten Mal , dass meine Mutter wollte , dass ich Spence besuche. Die Schule , die beinahe ihr Leben ze r stört hat. Die Schule , an der sie ihre Freundin und spätere Feindin Sarah Rees-Toome , Circe , kenneng e lernt hat. Bevor ich Vater weiter darüber befragen kann , ist er aufgestanden und verabschiedet sich. Seine Heite r keit wurde von der kalten Wahrheit eingeholt und das kann er nicht ertragen.
    »Ich gehe jetzt. Bis später , mein Engel.«
    »Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?« , quengle ich , obwohl ich weiß , dass er das an mir nicht leiden kann.
    »Ich will die alten Knaben im Klub nicht warten la s sen.«
    Warum scheint es immer so zu sein , dass ich nur den Scha t ten meines Vaters zu fassen bekomme? Ich bin wie ein Kind , das ständig nach seinen Rockschößen greift und sie nicht e r wischt.
    »Natürlich« , sage ich. Ich lächle ihn an , strahlend , hell , so wie er mich haben möchte. Brich ihm nicht das Herz , G emma.
    »Ich sehe dich beim Abendessen , Liebes.«
    Er küsst mich auf die Stirn und dann ist er fort. Der Raum scheint ihn nicht zu vermissen. Vater hat nicht einmal eine Delle auf dem Bett hinterlassen , wo er gese s sen hat.
    Mrs Jones kommt geschäftig mit einer frischen Kanne Tee und der Nachmittagspost herein. »Ein Brief für Sie , Miss.«
    Ich kann mir beim besten Willen nicht denken , wer mir e i ne Weihnachtskarte schicken sollte. Umso übe r raschter bin i ch , als ich sehe , dass der Brief aus Wales kommt. Mrs Jones braucht eine Ewigkeit , um das Zi m mer aufzuräumen und die Vorhänge aufzuziehen.
    »Brauchen Sie noch etwas , Miss?« , fragt sie dann ohne E n thusiasmus.
    »Nein , danke« , sage ich mit einem Lächeln. Es wird nicht erwidert.
    Endlich geht Mrs Jones und ich reiße den Brief auf. Er ist von der Direktorin von Sankt Viktoria , einer Mrs Morrissey.
     
    L iebe Miss Doyle , d anke für Ihre Anfrage. Es ist sehr trös t lich , z u hören , d ass unsere Nell eine so liebenswürdige Freundin gefunden hat. Sankt Viktoria beschäftigte in der Tat eine Lehrerin namens Catrin McChennmine. Miss McChennmine war vom Herbst 1894 bis zum Frühjahr 1895 bei uns. Sie war eine ausg e zeichnete Kunst-und Poetiklehrerin und bei bestimmten Sch ü lerinnen sehr beliebt , z u denen Nell Hawkins gehö r te. Leider kann ich Ihrem Wunsch nach einer Fotografie von Miss McChennmine als Andenken für Miss Hawkins nicht nac h kommen , d a ich keine besitze. Auch mit einer Adresse kann ich nicht dienen. Als sie Sankt Viktoria verließ , w ollte sie eine Stelle an einer Schule in der Nähe von London a n treten , w o ihre Schwester Direktorin ist. Ich hoffe , d ieser Brief kann Ihnen weiterhelfen , u nd wünsche Ihnen ein fröhliches Wei h nachtsfest.
    Mit besten Grüßen
    Mrs Beatrice Morrissey
     
    S ie war also dort. Ich hab ’ s gewusst!
    … wollte sie eine Stelle an einer Schule in der Nähe von London antreten , w o ihre Schwester Direktorin ist …
    Eine Schule in der Nähe von London. Spence? Heißt das , dass Mrs Nightwing Miss McChennmines Schwester ist?
    Unten