Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
brennen in meiner Kehle. Es wäre ein Wunder , wenn wir aus dem Raum entkommen können , ohne selbst dem Rauschgift zu verfallen. Ich halte mir mein Taschentuch vor den Mund , um nicht zu erbrechen.
»Achten Sie auf den Fußboden« , sagt Kartik. Mehrere sichtlich wohlhabende Männer sitzen dicht gedrängt um ein Opiumbecken , völlig betäubt , mit offenem Mund. Über ihnen ist eine Schnur durch den Raum gespannt , an der schmutzige Fetzen hängen und einen schäbigen Vo r hang bilden , der nach saurer Milch riecht.
»Auf was für einem Schiff fährst du , mein Junge?« , kommt eine Stimme aus der Dunkelheit. Ein Gesicht schiebt sich in den Schein einer Kerze. Der Mann ist ein Inder.
»Ich bin kein Matrose. Und auch kein Junge« , antwortet Kartik.
Der indische Seemann lacht darüber. Eine hässliche Narbe z ieht sich vom Augenwinkel über seine Wange. Mich scha u dert bei dem Gedanken , wie er sie bekommen haben mag oder was mit dem anderen Mann geschehen ist , der sie ihm zug e fügt hat. Er tastet nach dem Degen an seiner Seite.
»Sie haben den Hund zu einem Engländer dressiert?« Er zeigt mit dem Degen auf mich. Dann gibt er bellende Laute von sich , die in ein Gelächter übergehen und in einem schrecklichen Hustenanfall enden , der Blut auf seiner Hand zurücklässt.
»Die Engländer.« Er spuckt aus. »Ihnen verdanken wir das Leben , das wir führen. Wir sind ihre Hunde , du und ich. Hu n de. Ihren Versprechungen kann man nicht tra u en. Aber Chin -C hins Opium macht die Welt zu einem glücklichen Ort. Ra u che , mein Freund , und du vergisst , was sie tun. Du vergisst , dass du ein Hund bist. Dass du immer ein Hund sein wirst.«
Er sticht mit der Degenspitze in die klebrige schwarze Op i umkugel , um seine Sorgen fortzurauchen und in ein Verge s sen zu driften , wo er niemandes Untertan mehr ist. Kartik und ich bewegen uns weiter durch den rauchigen Dunst. Der Ch i nese führt uns in einen winzigen Raum und bittet uns , einen Moment zu warten. Er verschwindet hinter dem zerschliss e nen Türvorhang. Kartik knirscht noch immer mit den Zähnen.
»Was dieser Mann gesagt hat …« Ich weiß nicht , wie ich fortfahren soll. »Ich meine , ich hoffe , Sie empfinden nicht auch so.«
Kartiks Miene versteinert. »Ich bin nicht wie diese Männer. Ich bin ein Rakschana. Eine höhere Kaste.«
»Aber auch Sie sind ein Inder. Es sind Ihre Landsleute , oder nicht?«
Kartik schüttelt den Kopf. »Das Schicksal bestimmt unsere Kaste durch unsere Geburt. Man muss es akze p tieren und nach den Gesetzen leben.«
»Das können Sie nicht wirklich glauben!«
»Doch , das glaube ich. Das Unglück dieses Mannes ist , dass er seine Kaste , sein Schicksal , nicht akzeptieren kann.«
Ich weiß , dass die Inder das Zeichen ihrer Kaste auf der Stirn tragen , damit jeder es sehen kann. Ich weiß , dass wir in England unser eigenes , ungeschriebenes Kastensy s tem haben. Ein Arbeiter wird nie einen Sitz im Parl a ment erhalten. Eine Frau genauso wenig. Ich glaube nicht , dass ich solche Dinge bis zu diesem Moment infr a ge gestellt habe.
»Aber was ist mit dem Wunsch und Willen , die Dinge zu ändern?«
Kartiks Augen sind auf einen unbestimmten Punkt im Raum gerichtet. »Man kann seine Kaste nicht wechseln. Man kann sich dem Schicksal nicht widersetzen , kann es nicht ändern.«
»Das heißt , dass es keine Hoffnung auf ein besseres Leben gibt. Man ist gefangen.«
»So sehen Sie es« , entgegnet er leise.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Es kann auch Erleichterung bedeuten , einem vorgezeic h neten Weg zu folgen , dessen Verlauf zu kennen und die Rolle , die einem zugeteilt ist , zu spielen.«
»Aber wie kann man sicher sein , dass man auf dem richt i gen Weg ist? Was , wenn es so etwas wie ein vorb e stimmtes Schicksal nicht gibt und man selbst wählen und Entscheidu n gen treffen muss?«
»Dann entscheide ich mich dagegen , ohne Schicksal zu l e ben« , sagt er mit einem leisen Lächeln.
Er wirkt so sicher , wogegen ich nichts als Unsicherheit empfinde. »Haben Sie niemals Zweifel? An irgende t was?«
Sein Lächeln verschwindet. »Doch.«
Ich wüsste gern , was das für Zweifel sind , aber der Chinese kommt zurück und unterbricht unser Gespräch. Wir folgen ihm , indem wir die stinkenden Fetzen zur Se i te schieben. Er zeigt auf einen Engländer mit Armen wie ein Ringer.
»Wir suchen Herrn Chin-Chin« , sagt Kartik.
»Der steht vor Ihnen« , sagt der Engländer. »Hab das Haus vor drei Jahren vom
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