Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
an , wie um zu sagen: Bist du sicher? Ich nicke.
»Schön , dann lasse ich Sie jetzt allein , damit Sie sich b e kannt machen können , während ich meine Visiten mache , in Ordnung?«
»Guten Tag , wie geht es Ihnen?« , sage ich und setze mich auf den Stuhl ihr direkt gegenüber. Nell Hawkins fährt sich weiterhin durchs Haar. »Ich habe gehört , Sie waren in einer Internatsschule.« Schweigen. »Ich bin auch in einem Internat. In der Spence-Akademie für junge Damen. Vielleicht haben Sie davon gehört?« Am anderen Ende des Raums malträtiert Mrs Sommers weiter das Klavier. »Soll ich Ihnen Gedichte v on Robert Browning vorlesen? Ich finde seine Lyrik so stimmungsvoll.«
Der Papagei krächzt: »Folge dem Weg. Folge dem Weg.«
Ich beginne , mit großem Pathos zu lesen.
Tom verlässt den Raum und ich schlage das Buch wi e der zu. »Ich glaube nicht , dass Sie verrückt sind , Miss Hawkins. Ich weiß vom Orden des aufgehenden Mondes und von Circe. Ich glaube Ihnen.«
Ihre Hand hält für einen Moment inne. Sie zittert.
»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Ich will Circe aufhalten. Aber ich brauche Ihre Hilfe.«
Nell Hawkins scheint mich zum ersten Mal zu sehen. Ihre Stimme ist hoch und kratzig wie Zweige , die im Wind an ein Fenster schlagen. »Ich weiß , wer du bist.«
Der Vogel krächzt: »Ich weiß , wer du bist. Ich weiß , wer du bist.« Es läuft mir kalt über den Rücken.
»Wirklich?«
»Sie sind hinter dir her. Ich höre sie , in meinem Kopf. So schreckliche Dinge.« Sie beginnt wieder , an ihrem Haar zu zupfen und leise dabei zu singen.
»Wer ist hinter mir her?«
»Sie ist ein Knusperhaus , das darauf wartet , dich zu ve r schlingen. Sie hat ihre Spione« , flüstert sie so eindrin g lich , dass es mich schaudert.
Ich weiß nicht , was ich davon halten soll. »Miss Ha w kins. Sie können offen mit mir sprechen. Ehrlich , Sie dürfen mir vertrauen. Aber ich muss den Tempel finden. Wenn Sie wi s sen , wo er ist , dann müssen Sie es mir …«
Nell schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Folge dem Weg. Bleib auf dem Weg.«
»Dem Weg? Welchem Weg?«
Blitzschnell reißt Nell das Amulett von meinem Hals , so grob , dass meine Haut vor Schmerz brennt. Bevor ich prote s tieren kann , wirft sie es in die Luft und fängt es mit beiden Händen wieder auf. Sie dreht es hin und her , als versuche sie , auf der Rückseite etwas zu lesen. »Dem wahren Weg.«
»Dem wahren Weg. Dem wahren Weg« , kreischt Kassan d ra.
»Von was für einem Weg reden Sie? Ist er im Garten? Oder meinen Sie den Fluss?« , frage ich.
»Nein. Nein. Nein« , murmelt Nell und schaukelt dabei wild hin und her. Plötzlich und unerwartet schlägt sie das Amulett fest gegen meinen Stuhl und verbiegt dabei das Mondauge.
»Hören Sie auf« , sage ich und entreiße ihr meine Hal s kette. Das Mondauge steht jetzt in einem eigenartigen Winkel ab.
»Folge dem Weg. Bleib auf dem Weg« , sagt Nell wi e der. »Sie werden versuchen , dich in die Irre zu führen. Dir Dinge zu zeigen , denen du nicht trauen kannst. Traue niemandem. Hüte dich vor den Klatschmohnkri e gern.«
Mein Kopf dreht sich von Nells seltsamen Ausbrüchen. »Miss Hawkins , bitte , wie finde ich diesen Weg? Wird er mich zum Tempel führen?« , frage ich. Aber ich kann Nell Hawkins nicht erreichen. Leise vor sich hin su m mend schlägt sie ihren Kopf gegen die Wand , bis eine Krankenschwester herbeistürzt.
»Aber , aber , Miss Hawkins. Was wird der Doktor sagen , w enn er Sie so sieht? Kommen Sie , wir wollen ein neues Stickmuster ausprobieren. Ich habe wunderhü b sches neues Garn.«
Die Krankenschwester zieht Miss Hawkins mit sich. Die Haarbüschel , die aus Nells Knoten herausschauen , hüpfen auf und ab. »Der Tempel verbirgt sich in klarer Sicht« , sagt sie. »Folge dem Weg.«
Die Schwester setzt Nell Hawkins auf einen Stuhl und führt ihre Hand mit der Nadel von einem winzigen Stich zum nächsten , rauf und runter. Ich bin verwirrter denn je. Ich schaue durch die Stäbe in Kassandras Käfig. »Ve r stehst du das?«
Der Vogel blinzelt und blinzelt wieder , wobei der wi n zige schwarze Punkt der Pupille jedes Mal in einem Schaum aus weißen Federn verschwindet und wieder auftaucht , wie ein Taschenspielertrick: Jetzt seht ihr ’ s , jetzt seht ihr ’ s nicht. Mit kleinen Trippelschritten dreht er sich auf seiner Stange um und kehrt mir seinen fa r benprächtigen Rücken zu.
»Nein , ich glaube nicht« , seufze ich.
Ich frage eine der
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