Der Geist des Nasredin Effendi
Esel am Halfter und zog mit ihm langsam durch die Stadt. Mehr unbewußt wurde er ge wahr, daß sich nicht lange nach seinem Aufbruch vom Basar die rote Maschine ebenfalls in Bewegung setzte. Er sah es zufällig, als er sich nach einer großen, seiner Ansicht nach nur halbbekleideten fremdländischen Frau umsah.
Dann befand er sich zweifelsfrei im Zentrum der Stadt. Ein riesiger steinerner Kasten, ein Haus wie ein ganzer kleiner Kischlak, stand auf Stützen, und eine Front davon zeigte sich fast gänzlich mit jener durchsichtigen Haut bespannt, die die Leute Glas nannten. Ein Park schloß sich an mit Bäumen, von denen ein jeder aus einem kleinen Rohr Wasser bekam. Niemals zuvor hatte man in Urgentsch so prächtige Bäume gesehen. Und einen Augenblick glitten Nasreddins Gedanken erneut ab. Mindestens fünfzig Sommer hatten diese Bäume auf der Rinde. Es muß ein Stück Arbeit kosten, solche Bäume zu transportieren und zu pflanzen…
Aber eins fiel Nasreddin auf in diesem Stadtzentrum: Nicht eins der Bauwerke des Islam, die sonst stets den Kern einer Stadt bestimmten, um an zentraler Stelle Ruhm und Ehre Allahs zu preisen, ließ sich erspähen. Kein Minarett ragte über die Dächer, keine Medrese, keine Moschee weit und breit. Sind von heute auf morgen alle ungläubig geworden, hat Allah sie mit Blindheit geschlagen, diese Usbeken? Aber hätte das der Gebieter zugelassen? Man sagt ihm nach, daß er einmal auf einem Eilmarsch den Männern eines ganzen Vortrupps die Köpfe abschlagen ließ, weil sie im Eifer des Vorankommens das Mittagsgebet ausgelassen hatten. Er wollte nicht den Zorn Allahs auf das Unternehmen lenken, das war ihm Grund genug dazu. Und hier in seinem Reich eine ganze Stadt voller Ungläubiger?
Aber, aber, Nasreddin, das so zu sehen, fehlt’s dir an Einblicken und Kenntnissen! Denk daran, was dein Chodscha sagte: »Urteile, wenn du weißt…« Und was kannst du von hier aus zwischen hohen Häusern und Bäumen schon erblicken von der Stadt, und daß du im Zentrum bist, vermutest du…
Doch der Gedanke bewog Nasreddin, sich die Stadt näher anzuschauen. Er zog mit seinem Esel durch die Straßen, sah weiterhin Wundersames, lernte abermals viel dazu, aber eine Moschee oder gar eine Medrese fand er nicht.
Lange stand Nasreddin unschlüssig, vom Stadtwandern müde geworden, vor einer Tschaikana. Er verspürte Durst, die Füße schmerzten, hatte aber Furcht, die Teestube zu betreten. Er blickte durch das Fenster, ein vertrautes Bild: Die Gäste lagen auf den halbhohen, mit Teppichen belegten Gestellen und schlürften Tee. Nasreddin war gewiß, es war grüner… Alte Männer, gemeinsam gekommen, gemeinsam Platz genommen, gemeinsam schweigend schlürfend. Aber etwas Neues, wie könnte es anders sein, gab es drin doch: Auf einem der Gestelle ruhten zwei Frauen, eine im mittleren Alter und eine junge. Auf dem Boden standen ihre Schuhe, die verrieten, daß ihr Schritt über unbefestigte Wege geführt hatte. Und Netze lagen da mit Früchten, mit Eingekauftem oder zu Verkaufendem.
Wie Nasreddin so stand und überlegte, geschah etwas, was zunehmend seine Aufmerksamkeit erregte, bis er, aufs höchste gespannt, seinen Plan, die Tschaikana zu betreten, aufgab, sich unauffällig ein wenig zurückzog und sich auf eine Bank setzte, von der aus er das Geschehen an einem Anbau der Teestube bestens verfolgen konnte.
Dort war eine Maschine vorgefahren, der zwei Männer entstiegen, ein Vorgang, der Nasreddin keineswegs aufmerksam gemacht hätte, nein, aber sie entluden wulstige Räder. Nur langsam war in Nasreddins Gedächtnis das Erleben der vergangenen Nacht geflossen. Schließlich mußte es gang und gäbe sein, daß dort, wo viele solcher Maschinen liefen, auch viele Räder waren.
Drei Männer machten sich mit den Rädern zu schaffen, das heißt, einer, offenbar zur Tschaikana gehörig, nahm lediglich in Empfang. Er stand mit verschränkten Armen und sah dem Abladen zu. Die beiden anderen beeilten sich sehr. Von der Maschine sprangen die Räder auf den Hof und wurden hastig in den Anbau gerollt. Es waren vier, vier komplette Räder einer Maschine. Aber all das hätte Nasreddins Aufmerksamkeit sicher nicht derartig gefesselt, wenn er nicht in einem der Männer jenen erkannt hätte, der in der vergangenen Nacht ebendiese Räder von der Maschine genommen hatte, auf der er, Nasreddin, nächtigte. Und daß das Ganze unrechtmäßig war, nun, das ging aus dem Getue hervor, darüber bestand bei Nasreddin nicht
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