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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Blätter da?
    Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah …
    Unter meinem Fenster knatterten die Fahnen im Wind.
    Der Wind spielt mit der Wetterfahne …
    Es war, als würden sie sich um etwas schlagen. Nein ich, nein du, nein ich. Hau ab du, sonst knatter ich dir eine. Verweh dich, sonst schlag ich zurück.
    Der Wind spielt drinnen mit den Herzen, wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
    Was Emil wohl jetzt machte? Vielleicht stand er auf dieser gottverlassenen Ausfallstraße neben der Autobahn im Regen und versuchte zu trampen? Oder hüpfte er mit den Anderen auf einer in grell zuckendes Licht getauchten Tanzfläche herum? Dann war ihm warm.
    Es klopfte.
    Emil? Oder etwa Jo? Er würde sich doch nicht erdreisten … Nein. Ich hatte meine Abschminkcreme im Gesicht, und außerdem roch es hier drin nach Babykacke. No way. Der Einzige, mit dem ich diesen Geruch teilen wollte, war Emil. Und der Einzige, der mein ungeschminktes Gesicht sehen durfte, auch.
    »Wer ist da?«, fragte ich gedämpft durch die Tür.
    »Zimmerservice, bitte!«
    »Ich hab nix bestellt!«
    Es klopfte wieder. Hach, verdammt. Störenfried. Leise öffnete ich die Tür. Einen Spaltbreit.
    Es war wirklich der Zimmerkellner. Mit einem feingedeckten Servierwagen. Darauf prangte ein riesiger Blumenstrauß in großer Kristallvase. Und eine Flasche Champagner. Mit einem Glas. Wohlgemerkt. Mit einem.
    »Das hab ich nicht bestellt!«
    »Das schickt Ihnen der Herr von Zimmer 518.«
    »Wo hat der denn um diese Uhrzeit die Blumen her?«
    »Er hat unsere Hausdame überredet, sie ihm zu überlassen.« Der Kellner hüstelte.
    Das sah dem Jo ähnlich. Mit seinem Wiener Charme erreichte der alles. Fast alles. Ich drückte dem Kellner überwältigt einen Zwanzigmarkschein in die Hand.
    Dann stand ich da. Und betrachtete den Altar.
    Im Blumenstrauß steckte ein Kärtlein: »Dr. Joachim Merz, Dipl. Ing.« Und seine Wiener Adresse. Und darunter, mit Füller geschrieben, in prägnanter, steiler, schlanker Schrift, nur ein Wort: »Frühstück?«
    Ich fand’s bezaubernd.
    Ich war hingerissen.
    So ein goldiger, süßer, gut erzogener Wiener! Und das mir! Ausgerechnet heute, wo ich dermaßen die Sinnkrise hatte. Und wo eindeutig meine Wechseljahre angefangen hatten.
    Ich stürzte zum Telefon, wählte die Nummer, die auf dem Kärtchen stand, und als sich eine verschlafene Stimme meldete, sprudelte ich los: »Ich finde es hinreißend von dir, dass du mir Blumen und Champagner aufs Zimmer schickst, du hast wirklich Stil und Klasse, und unter anderen Umständen würdest du mir auch wirklich sehr gefallen. Du siehst phantastisch aus, bist gebildet und charmant. Aber ich bin mindestens zehn Jahre älter als du, ich bin eine Mogelpackung! Ich habe nicht nur ein Kind, ich habe vier! Und in Kürze werde ich vierzig! Also lass dich endlich überzeugen. Danke für die Einladung zum Frühstück, aber du solltest mit dem Mädel frühstücken, das für dich bestimmt ist. Du hast ein bildschönes Girl gewonnen, das dreiundzwanzig ist und knackig und blond! Hast du das schon vergessen? Du fliegst mit ihr im Jet nach Bad Wörishofen! Aber wenn du immer noch darauf bestehst, frühstücke ich natürlich mit dir! Sagen wir, morgen früh um sieben?«
    »Das hört sich wirklich reizvoll an«, sagte eine Stimme, die gar nicht wienerte. »Also noch mal der Reihe nach. Erst frühstücke ich mit Ihnen, obwohl Sie vier Kinder haben und eine Mogelpackung sind, und dann fliege ich mit einem bildschönen Girl, das dreiundzwanzig ist, im Jet nach Bad Wörishofen?«
    »O Scheiße«, sagte ich. »Verwählt.«
    In dieser Nacht wachte ich irgendwann auf.
    War da ein Geräusch gewesen? Paulinchen? Ich tappte barfüßig in ihr Kinderzimmer. Nein. Alles gut. Paulinchen träumte einen rosigen, tiefen Kindertraum.
    Ich beschloss, mir ein Mineralwasser aus der Minibar zu holen. Leise schlich ich ins nächste Zimmer. Der Champagneraltar mit den Blumen stand immer noch unter dem Fenster. Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, die letzten roten Astern trag herbei …
    Und daneben stand Emil.
    Mit nacktem Oberkörper. Wie damals. Als ich ihn zum ersten Mal im Garten geküsst hatte. An dem Tag, an dem das mit der Hängebrücke passiert war. An dem Tag, wo ich sein einziger Freund geworden war. Und noch viel mehr als das.
    Da stand er. Mit dem Rücken zu mir. Und schaute auf das dichte Schneetreiben draußen im milchigen Licht. Auf die tanzenden Schneeflocken vor der grünlich leuchtenden Frauenkirche.

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