Der Gesandte des Papstes
angekommen, zog er sich zwischen den Zinnen hoch und schwang ein Bein über die Wehrmauer. Raoul machte sich auf einen Angriff gefasst, doch weit und breit war kein Wächter zu sehen.
Der dräuende Geruch von Blut und Tod hing in der Luft wie ein geflüsterter Fluch. Raoul warf den Wurfanker zu seinen Gefährten hinunter und stieg die Treppe vom Wehrgang hinab. Leichen lagen im Tordurchgang und auf dem Hof - erschlagene Söldner der Festungsbesatzung und zwei Beduinen. Sie konnten noch nicht lange tot sein, trotzdem labten sich bereits
ganze Fliegenschwärme an den Blutlachen und Wunden. Ein Schrei voller Schmerz erklang gedämpft vom anderen Turm herüber, während er den Torbalken aus der Verankerung hob. Er öffnete den Flügel einen Spalt, und Jada und ibn-Marzuq schlüpften herein.
Der Wesir presste sich ein Tuch auf Mund und Nase, was ihm einen verächtlichen Blick von Jada einbrachte. Raoul zog sein Schwert. »Durchsuchen wir alles«, sagte er. »Vielleicht kommen wir an das Zepter heran, ohne al-Munahid zu begegnen.«
Sie alle wussten, wie unwahrscheinlich das war, aber niemand widersprach dem Vorschlag. Keiner der drei war erpicht darauf, sich dem Kampfgetümmel im Turm zu nähern, bevor es unausweichlich wurde.
Jada und ibn-Marzuq zogen ihre Dolche. Jada konnte sich in einem Kampf behaupten; von ibn-Marzuq dagegen erhoffte Raoul sich keine Hilfe. Schon die Art, wie er den Dolch hielt, verriet, dass er noch nicht oft eine Waffe geführt hatte.
Sie begannen mit den Ställen, in denen sie nichts fanden als die Pferde von al-Tufails Kriegern. In der Küche und der Wäscherei war ihre Suche ebenso fruchtlos. Als Nächstes nahmen sie sich das Haupthaus vor. Das Gebäude mit dem kuppelförmigen Dach war so angelegt, dass es noch lange gehalten werden konnte, wenn der Rest der Festung schon gefallen war. Es hatte dicke Wände, und die Fenster waren für Angreifer ohne Leitern unerreichbar, weil es auf einem mannshohen Sockel aus geglättetem Fels stand. Zum Eingang führte eine Rampe, die von den Fensterschlitzen unter dem Kuppeldach beschossen werden konnte.
Fackelschein erhellte vier schmale Fenster über ihnen, die oben in drei Spitzen ausliefen wie französische Lilien. Das Licht war schwach, so kraftlos wie ersterbende Glut, aber für einen Augenblick war darin der schwarze Schatten eines Mannes zu sehen.
»Das ist er!«, murmelte Jada. Sie lief die Rampe hinauf und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen.
Ibn-Marzuq blickte immer noch zu den Fenstern hoch. Raoul packte ihn am Arm und zog ihn unsanft zum Felssockel, damit niemand sie vom Zimmer aus sehen konnte. Nein, der Wesir würde ihnen gewiss keine große Hilfe sein.
Jada kam zu ihnen zurück.
»Bist du sicher, dass er es ist?«, flüsterte Raoul.
Sie nickte nur und lief dicht am Felssockel entlang Richtung Turm. Raoul begriff ihre Absicht: Der dritte Turm war mit dem Haupthaus verbunden, sodass es wahrscheinlich einen Zugang zu den Räumen unter der Kuppel gab. Die Möglichkeit, al-Munahid ohne seine Männer zu stellen, erfüllte Raoul mit neuer Zuversicht. Mit dem Schwert in der Hand folgte er Jada.
Es würde das dritte Mal sein, dass er dem Söldner begegnete. Er versuchte nicht daran zu denken, wie die ersten beiden Male ausgegangen waren.
Najib fühlte sich ungerecht behandelt. Während die anderen kämpfen durften, musste er das verdammte Tor bewachen. Vor wem, bei allen Höllen? Al-Tufails Männer hatten sich doch allesamt wie die Schafe in den Turm zurückgezogen, falls sie nicht längst tot auf dem Hof lagen. Es war immer dasselbe mit dem aqid. Er dachte nur an eine möglichst genaue Durchführung seiner Pläne; für das Vergnügen seiner Männer interessierte er sich überhaupt nicht. Aber das war noch nicht alles. Najib glaubte, dass die langweiligsten Aufgaben immer ihm gegeben wurden, nur weil er der Jüngste war. Dabei hätte der fette Akif das Tor ebenso gut bewachen können, dachte er, als er plötzlich auf der anderen Seite des Hofs eine Bewegung wahrnahm. Eine Gestalt löste sich vom Turm, in dem der Kampf tobte, und lief zum Tor. Im Zwielicht der Morgendämmerung hielt Najib sie zuerst für einen seiner Gefährten, der ihn holen wollte, weil sie Verstärkung benötigten. Doch als der Mann näher kam,
erkannte er, dass es sich um einen Krieger der Festungsbesatzung handelte. Ihm war die Flucht aus dem Turm geglückt, und nun suchte er das Weite. Najib zog sich in den dunklen Durchgang zurück und zückte
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