Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Woche später der Ehefrau des Ermordeten einen Besuch in
ihrer Wohnung in Tel Aviv abzustatten. Bei dieser Gelegenheit betrat er zum ersten Mal israelisches Gebiet. Lea Rabin empfing ihn, Arafat nannte sie »meine Schwester«, und bis zu seinem Tod blieben beide einander freundschaftlich zugetan.
Der Mörder, Jigal Amir, gehörte einer ultraorthodoxen Richtung an, die sich Anfang der 90er-Jahre herausgebildet hatte. Von radikalen Rabbinern dazu ermuntert, begannen deren Anhänger damals in immer größerer Zahl, als Siedler im Westjordanland Fuß zu fassen. Das Oslo-Abkommen bezeichnenten diese fanatischen Vorkämpfer eines Großisrael als Verrat an ihrer Vision, und der Mörder Rabins handelte in der festen Überzeugung, einen Verräter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Seine Eltern waren aus dem Jemen nach Israel eingewandert, und der Täter war im Geist eines aggressiven Nationalismus erzogen worden. Auf keinen Fall handelte es sich bei ihm um einen verwirrten Einzelgänger, und auf jeden Fall gelang es ihm, mit drei Schüssen den Gang der Geschichte zu ändern.
Nicht, dass Arafat es mit Rabin leicht gehabt hätte. Anfangs weigerte sich Rabin einfach, die Abmachungen von Oslo umzusetzen. Arafat drängte, bat, bettelte, insistierte, und Rabin stellte sich taub. Dann kam es durch Vermittlung der USA und einiger europäischer Länder zu einem Treffen zwischen Rabin, Arafat und Mubarak sowie Vertretern der USA und Europas, und offenbar ließ sich Rabin auf dieser Zusammenkunft dazu überreden, Arafat ernst zu nehmen. Erstaunlich aber war, dass Rabin und Arafat sich im Lauf des Jahres 1995 auch menschlich näherkamen, jedenfalls legte der israelische Ministerpräsident seine herablassende Haltung nach und nach ab, und zum Zeitpunkt seiner Ermordung war das Verhältnis der beiden beinahe freundschaftlicher Natur.
Im Übrigen machte Rabin tatsächlich Anstalten, den Verpflichtungen nachzukommen, die sich für Israel aus dem Oslo-Abkommen ergaben. Ende September 1995 unterzeichneten
Arafat und er in Washington ein Folgeabkommen, das die Erweiterung der palästinensischen Autonomie im Westjordanland über Jericho hinaus und den Rückzug der Israelis aus den Ballungsgebieten vorsah. Bei dieser Gelegenheit wurde eine Regelung getroffen, die bis auf den heutigen Tag beinahe unverändert gültig ist und das Schicksal der Palästinenser im Westjordanland bestimmt: die Aufteilung des Westjordanlands in drei Zonen unterschiedlicher Souveränität. In Zone A sollte die palästinensische Autonomiebehörde das alleinige Sagen haben – sie machte nicht mehr als 3 Prozent des Gebiets aus. Zone B sollte unter gemeinsamer palästinensischisraelischer Kontrolle stehen – diese Regelung betraf 24 Prozent des Gebiets. Und Zone C, die alle jüdischen Siedlungen und israelischen Militärstützpunkte oder 73 Prozent des Gebiets umfasste, sollte weiterhin allein der israelischen Verwaltung unterstellt bleiben. Diese Aufteilung war als erster Schritt gedacht – für eine endgültige Übergabe sämtlicher Gebiete wurde in Washington das Jahr 1999 ins Auge gefasst. Es war ein zaghafter Anfang, doch noch sah es so aus, als ob Geduld belohnt würde. Nach und nach würden C-Zonen in B-Zonen und B-Zonen in A-Zonen umgewandelt werden …
Nach der Ermordung Rabins übernahm sein Stellvertreter Schimon Peres die Regierungsgeschäfte. Den Schneid, die Wut der Siedler durch neue Impulse für den Friedensprozess auf sich herabzubeschwören, besaß er nicht, Peres war offensichtlich eingeschüchtert. Immerhin setzte er Rabins Politik schrittweiser Erleichterungen für die Palästinenser fort: Die Städte Jenin, Nablus und Bethlehem waren noch unter Rabin der Autonomiebehörde übergeben worden, Peres beorderte die israelische Armee auch aus Ramallah zurück. Dann setzte sich in den Wahlen vom Mai 1996 der Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu gegen Schimon Peres durch, und damit siegten jene Kräfte, von denen wir einen kurzen Moment lang glauben durften, sie seien überwunden.
Arafats Tränen waren prophetische Tränen gewesen. Er hatte nicht nur einen Partner verloren, er war mit Rabins Tod, wie sich zeigen sollte, auch um die Früchte seines Lebenskampfes gebracht worden. Aus dem Abstand von sechzehn Jahren muss man sagen: Danach behandelte die israelische Politik die Palästinenser nur noch als ein Problem, das es mit Gewalt zu lösen galt. Danach erlebten wir nur noch die Überheblichkeit von Menschen, denen wir dankbar sein mussten,
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