Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
kilometerweit, ließ mich dann auf dem Rücken liegend treiben und meine Gedanken schweifen. Erinnerungen stellten sich ein und wurden von anderen Erinnerungen abgelöst, Wünsche stiegen auf und erschienen erfüllbar, ich kam zu mir selbst, und jedes Mal kehrte ich gut gelaunt und mit neuer Kraft vom Schwimmen zurück. Drei oder vier Jahre später, während ich mich gerade mit meinem Vater im Sinai aufhielt, schwamm mein Freund Mahmud allein hinaus und ertrank. Andere wären danach vorsichtiger geworden – meine Beziehung zum Meer wurde dadurch noch enger.
Am verlockendsten war das Meer für mich des Nachts oder bei Regen. Auf meinen späteren Reisen nach Algerien, Tunesien und in den Libanon habe ich mir, wann immer es sich einrichten ließ, ein Hotel am Strand genommen. Natürlich war es auch der Anblick des Meers, aber mehr noch das Rauschen,
die Sinfonie der Wellen, das Einschlafen und Aufwachen bei dieser Musik. Als ich im Sommer 1994 vorübergehend nach Gaza zurückkehrte, schwamm ich täglich morgens um sechs hinaus, für eine ganze Stunde – aus dem gesamten Mitarbeiterstab Arafats war ich der Einzige, der seinen Arbeitstag auf diese Weise begann. Ich versuchte, Arafat zu überreden, sich mir anzuschließen. Es hätte sich leicht machen lassen – die großen Fenster seines Büros im ehemaligen Clubhaus eines Tennisvereins gaben den Blick aufs Mittelmeer frei, es lag direkt am Strand, und ein gelegentlicher Sprung ins Meer hätte Arafat, der Entspannung dringend nötig gehabt hätte, der sich in den letzten Jahren zur Ablenkung von seinen Geschäften allenfalls einmal aufs Pferd gesetzt hatte, gutgetan. Aber er winkte ab, weil seine Sicherheit im Wasser kaum zu gewährleisten war. Das stimmte natürlich; bei ihm hätte nicht, wie in meinem Fall, ein einzelner Leibwächter auf einem Surfbrett gereicht. Ich ließ trotzdem nicht locker, ich schlug ihm vor, nach Einbruch der Nacht mit mir schwimmen zu gehen – keiner würde uns sehen. Doch für jemanden wie Arafat war das Sicherheitsproblem auch damit nicht gelöst, und er blieb bei seiner Weigerung.
Vielleicht hatte ihn auch sein untrüglicher Instinkt für Gefahr gewarnt. Eines Morgens nämlich geriet ich in einen Schwarm von Feuerquallen, die sich in unseren Gewässern ungeheuer vermehrt hatten. Mein Leibwächter schlug mit dem Paddel nach den Tieren, während ich mich auf sein Surfbrett rettete. Als Arafat mich anderntags sah, mein Gesicht dunkelrot, wie mit heißem Olivenöl übergossen, zeigte er mit einem Grinsen auf meinen Kopf, sagte aber kein Wort. Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit den Feuerquallen, und sein Grinsen wurde breiter – er war nie undankbar für eine Gelegenheit, seine Leute aufziehen zu können. »Weißt du«, sagte er lachend, »diese Feuerquallen habe ich dorthin bestellt, damit sie aufmüpfigen Mitgliedern des Zentralkomitees
eine Lektion erteilen.« Wir kannten seinen robusten Humor, wir wussten aber auch, dass sein Spott nötigenfalls unverzüglich in Fürsorge umschlagen würde, und im nächsten Moment griff Arafat zum Telefonhörer und bestellte einen Arzt …
Zu der Zeit, als ich das Schwimmen entdeckte, wurde ich zum ersten Mal Zeuge einer israelischen Militäraktion. Auch wenn immer wieder von Kämpfen zu hören war, hatte ich bis dahin doch von der gewaltsamen Wirklichkeit abgeschirmt gelebt. In einer Februarnacht des Jahres 1955 aber wurden wir von Schüssen geweckt. Es klang nach einem längeren Feuergefecht ganz in unserer Nähe.
Unser Haus im Orangenhain lag nur wenige hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Überlandstraße nach Beerscheva von der Hauptverkehrsachse abzweigt, die Rafah im Süden des Gazastreifens mit Erez im Norden verbindet, und am frühen Morgen ging ich mit einem Freund dorthin, um nachzusehen. Die Straße verläuft dort zwischen Weizenfeldern und Orangenhainen, an der Straßengabelung gab es damals eine Station der ägyptischen Militärpolizei, und genau unterhalb dieses Postens stand, halb im Feld, das qualmende Wrack eines Militärlastwagens, wie sie für Mannschaftstransporte benutzt werden. Der Geruch von verbranntem Menschenfleisch mischte sich mit beißendem Rauch. Als wir näher kamen, sahen wir auf der Ladefläche die verkohlten Leichen von vierundzwanzig jungen Männern. Einige hatten offenbar in höchster Verzweiflung versucht, die Dachplane mit ihren Bajonetten aufzuschlitzen, um ins Freie zu springen, hatten es aber nicht mehr geschafft.
Die Aktion war, wie
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