Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
von denen die ersten bereits 1882 in Palästina eintrafen, freundlich aufgenommen worden. Wie mit den Christen fühlten sich die muslimischen Araber auch mit den Juden durch dieselben religiösen Wurzeln verbunden, und als es 1929 zu ersten Ausschreitungen gegen die Juden von Hebron kam, hatten palästinensische Familien manche von ihnen gerettet. Inzwischen waren aus guten Nachbarn erbitterte Feinde geworden, und für diese Entwicklung reichten die geostrategischen Ambitionen der Briten als Erklärung nicht mehr aus.
Im Laufe der Zeit verstand ich, dass die Zionisten unabhängig von den kolonialen Interessen Englands eigene Ziele verfolgt hatten. Für sie stellte sich die Gründung des Staates Israel als logische Folge eines Einwanderungsprojekts dar, das sie als lang ersehnte Rückkehr in das Land ihrer Väter verstanden wissen wollten. Die Zionisten nahmen mithin nur in Besitz, was ihnen immer schon gehörte. Da ich Palästina noch selbst als Land meines Vaters, unserer Väter erlebt hatte, galt mein besonderes Interesse in der Schule nun der Frühgeschichte unserer Region, also jener Zeit, als Palästina noch Kanaan hieß, als sich Philister und Israeliten hier gegenüberstanden. Später, in Deutschland, war es dann unumgänglich, mich mit der Geschichte der Juden und der Geschichte Palästinas gründlicher zu befassen, und ich kam zu keinem wesentlich anderen Ergebnis als damals im Geschichtsunterricht meiner Schule in Gaza: Einem Historiker leuchtet die zionistische Sichtweise nicht ein. Für den Historiker waren die Juden in dieser Region nur eine unter vielen Besatzungsmächten gewesen. Ich möchte meine historische Sicht hier so skizzieren, wie sie für mich bis heute Gültigkeit hat.
Die Geschichte des östlichen Mittelmeerraums rechnet ja nach Jahrtausenden. Hier liegen einige der ältesten Städte der Menschheitsgeschichte; für Jericho etwa lässt sich ein Alter von 10000 Jahren nachweisen; Damaskus, Nablus, Hebron und Beerscheva sind nicht wesentlich jünger. Das Land hatte also bereits eine lange und bewegte Geschichte hinter sich, als die Kundschafter der Israeliten sich in Kanaan umschauten und hinterher von einem Land berichteten, in dem Milch und Honig fließen. Tatsächlich war es ein reiches Land mit einer blühenden Stadtkultur, zu dessen Eroberung die Israeliten vermutlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. ansetzten. Und die rund 630 Jahre staatlicher Eigenständigkeit, auf die es die Vorfahren der Juden hier insgesamt brachten, erscheinen als eine relativ kurze Zeitspanne im Vergleich zu den Jahrtausenden, in deren Verlauf sich die verschiedensten Völker um dieses Land stritten.
Jedenfalls waren die Kanaaniter, die Amoniter, die Samariter, die Philister (deren Name in dem Wort Palästina fortlebt) und andere bereits dort ansässig, als die Israeliten, aus Ägypten kommend, mit ihren Eroberungszügen begannen. Und unabhängig davon, welches Volk in Zukunft diese Region beherrschen sollte, blieben diese Völker auch dort wohnen – die Philister sollten sich als die hartnäckigsten Gegner der Israeliten erweisen.
Nach der Eroberung Kanaans behauptete sich das Reich der Israeliten als einheitliches Staatswesen nur für kurze Zeit, nämlich von etwa 1000 bis 930 v. Chr. unter den Königen Saul, David und Salomon. Danach zerfiel es in zwei Staaten, in ein Nordreich, das zehn der zwölf Stämme unter dem Namen Israel vereinigte, und ein Südreich, in dem sich die übrigen zwei Stämme zu Judäa zusammenschlossen. Von langer Dauer waren aber auch diese Teilstaaten nicht. Das Nordreich hatte bis 722 v. Chr. Bestand, dann wurde es von den Assyrern erobert, seine Bevölkerung verschleppt; das Südreich erlitt 586 v. Chr. dasselbe Schicksal.
Die Vorherrschaft der Juden in Palästina fand damit ein vorläufiges Ende. Sie lebte noch einmal auf, als es zwischen 150 v. Chr. und 70 n. Chr. im selben Gebiet erneut zu einem jüdischen Staat kam. Staatliche Eigenständigkeit genoss dieses Judäa allerdings nur bis zum Jahr 63 v. Chr., also keine neunzig Jahre lang – danach verleibten die Römer es als Provinz Palästina dem Römischen Reich ein. Mit der Eroberung Jerusalems durch eine römische Armee im Jahr 70 n. Chr. endete die politische Geschichte der Juden, nicht aber die Geschichte des Judentums. Denn zahlreiche Juden hatten sich schon Jahrhunderte zuvor außerhalb Palästinas niedergelassen, zunächst in einem Gebiet, das die heutigen Staaten Irak, Syrien und Ägypten umfasst, später in
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