Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
einem rein palästinensischen Widerstand entwickelt. Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass sie ideologisch neutral waren, ihren Freiheitsbegriff also nicht von den Gesellschaftstheorien des Sozialismus ableiteten, ihr Heil aber auch nicht im politischen Zusammenschluss aller arabischen Nationen suchten. Einig waren sie sich auch im Ziel, nämlich dem Aufbau einer Untergrundorganisation, die aus eigener Kraft und mit Waffengewalt das Recht der Palästinenser auf Rückkehr in ihre Heimat durchsetzte. Die Rückkehr war und blieb ihre einzige Utopie. Im Unterschied zu Arafat und seinen Leuten praktizierten die beiden Besucher aus Gaza allerdings schon, was in Kairo bisher nur theoretisch erarbeitet worden war.
Die Idee eines bewaffneten Befreiungskampfes an sich war nicht originell. Überall in der arabischen Welt gab es Menschen, die der Ansicht waren, Palästina müsse mit Gewalt zurückerobert werden, aber angesichts der militärischen Stärke Israels versprach man sich Erfolg bis dahin allein von einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Araber. Jetzt ging es darum, den kühnen, vielleicht sogar vermessenen Gedanken einer rein palästinensischen Befreiungsbewegung zu verbreiten. In Anbetracht der Zersplitterung der Palästinenser keine leichte Aufgabe, denn als Flüchtlinge verteilten sie sich auf alle arabischen Länder von Ägypten bis zum Irak, und als politisch Interessierte waren viele inzwischen in die bereits existierenden Parteien eingetreten und damit ideologisch festgelegt. Man musste also zunächst einmal Kontakte knüpfen, eine innere Entwicklung unter den Palästinensern anstoßen, aber auch Beziehungen zum Ausland knüpfen, und hier erwies sich Yassir Arafat als die treibende Kraft. Arafat war überzeugt, dass die Idee eines palästinensischen Widerstands nur lebensfähig wäre, wenn sie auch in nichtarabischen Ländern Anhänger fände – andernfalls würde sich die gleiche Situation wie 1948 ergeben: Während Israel sich auf Freunde in
aller Welt stützen konnte, waren die Palästinenser auf sich allein gestellt gewesen.
Schon an diesem Fall zeigt sich, dass Arafats außerordentliches taktisches Geschick nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit zur scharfen politischen Analyse beruhte. Tatsächlich hatten sich Europäer und muslimische Palästinenser bis dahin kaum zur Kenntnis genommen.
Die wenigen Europäer, die in der ersten Jahrhunderthälfte zu uns gekommen waren, hatten Schulen, Kirchen und Krankenhäuser gebaut, und ihre Kontakte beschränkten sich auf die Christen Palästinas. Die Muslime ihrerseits schickten ihre Kinder, wenn sie es sich leisten konnten, zum Studium nach Kairo oder Istanbul, nicht nach Europa – auch mein Vater wollte von meinem Wunsch, in Deutschland zu studieren, zunächst einmal nichts wissen. Während die Zionisten von Anfang an im besten Einvernehmen mit den Kolonialmächten standen, hatten wir Palästinenser keinen einzigen Verbündeten, weder in einem der europäischen Staaten noch in den USA. Später legte Arafat größten Wert darauf, die palästinensische Sache durch gute Leute in Europa vertreten zu lassen. Und als ich 1994 meinen Wohnsitz nach Palästina verlegen wollte, um nun endlich im Land selbst am Aufbau eines palästinensischen Staates mitzuwirken, machte Arafat mir in einer langen nächtlichen Sitzung klar, dass meine Arbeit in Deutschland für die Zukunft Palästinas von größerer Bedeutung sei.
Im Jahr 1954 allerdings war Arafat derjenige, der über die besten Möglichkeiten verfügte, internationale Beziehungen zu knüpfen, denn in Kairo gab es die Botschaften, und durch den Studentenverein stand er in engem Kontakt mit den sozialistischen Ländern Osteuropas wie mit den westeuropäischen Ländern. Arafat war der Erste, der den Schritt über die Grenzen der arabischen Welt hinaus wagte. Die weitere Entwicklung sollte ihm recht geben – ohne die beharrliche diplomatische
Unterstützung der Europäer wäre die Fatah wohl gescheitert.
Zwei Jahre nach der Begegnung von Mohammed, Abu Dschihad und Arafat, im Herbst 1956, herrschte erneut Krieg, und die israelische Armee besetzte im Zuge ihres Angriffs auf Ägypten auch den Gazastreifen. Das Vorgehen der Israelis war mit Frankreich und England abgestimmt, wobei jeder der drei Beteiligten seinen eigenen Kriegsgrund hatte. England wollte den Suezkanal, den Präsident Nasser verstaatlicht hatte, durch eine Militäraktion wieder unter seine Kontrolle bringen. Frankreich hatte es vor allem auf Nasser selbst
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