Der Gesang des Wasserfalls
Freundlichkeit an sich, die das verbarg, was sie wirklich dachten und empfanden. Madi war sich nicht sicher, ob Außenseiter die Indios je wirklich verstehen würden.
Xavier sprach davon, eine Kundgebung zu organisieren und so viele Indios wie möglich aus allen Teilen des Landes zu einer Demonstration nach Georgetown zu bringen.
»Was werden Sie verlangen?«, fragte Madi.
»Verlangen ist ein hässliches Wort. Wir werden einfach unsere Rechte fordern, damit unser Volk seine eigene Zukunft besser bestimmen kann.«
»Bei uns zu Hause gibt es ähnliche Diskussionen über Landrechte für die Aborigines, Bergbau und Tourismus in Aborigine-Gebieten und die Frage, wem die Bodenschätze gehören. Die Bürokraten und Politiker sind sich darüber immer noch nicht einig«, sagte Madi.
»Engagieren Sie sich in Australien für diese Dinge?«, wollte Xavier wissen.
Madi schwieg eine Weile. »Um ehrlich zu sein, nein. Seit ich hier bin und so vielen, na ja, unterschiedlichen Menschen und Kulturen ausgesetzt bin … Ich glaube, das hat mir die Augen geöffnet.«
»Und Ihr Herz«, sagte Xavier leise.
Nach all dem Singen, Tanzen und Trinken machte sich das Dorf für die Nacht bereit. Zwei Frauen kamen zu Madi, führten sie in eine Hütte, in der mehrere Hängematten aufgespannt waren, und bedeuteten ihr, dass sie sich den Platz mit ihr teilen würden. Madi bemerkte, dass sie ihr die größte und neueste Hängematte gegeben hatten, und war gerührt über ihre Wärme und Gastfreundschaft, über die Behandlung als Ehrengast. Ein Mädchen, das in einer dämmrigen Ecke auf dem Lehmboden ein Baby stillte, lächelte ihr zu und zeigte auf eine winzige Hängematte aus Bändern. Das Innere der dunklen Hütte war unaufgeräumt, Kochutensilien lagen verstreut zwischen den persönlichen Besitztümern der Bewohner. Madi bekam eine weiche Webdecke, die sie in der Hängematte um sich wickeln konnte. Es war ein weiteres erhellendes und stimulierendes Erlebnis, am Alltagsleben dieser Menschen teilzuhaben, einem Leben, das sich so sehr von dem ihren unterschied. Aber sie fühlte sich wohl und völlig entspannt. In der Dunkelheit hörte sie leise Stimmen, Gemurmel und das gelegentliche Weinen des Babys. Dann schienen alle zur gleichen Zeit einzuschlafen, als habe sich eine sanfte Decke über das Dorf gebreitet.
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Vierzehntes Kapitel
M adi saß vor einer Hütte, einen halb fertigen Tontopf zwischen ihren Knien. Neben ihr lagen kreisförmige Rollen aus Ton, die sie schon vorher gemacht hatte. Dia, Madis Lehrerin, saß ihr gegenüber und beobachtete Madis langsame Fortschritte beim Formen des Topfes. Dia war schmächtig gebaut, aber ihre Arme und Hände waren kräftig. Madi fand ihr Gesicht mit der breiten Kinnpartie, den hohen Wangenknochen, den aufgeworfenen Nasenflügeln und den gewölbten Lippen wunderschön. Ihr Baby hing vor ihrer Brust in einer weichen Schlinge, die in ihrem Nacken verknotet war. Babys wurden von ihren Müttern ständig in solchen Schlingen getragen und konnten so jederzeit nach einer Brust greifen. Wenn sie älter waren, wurden die Schlingen um die Stirn gelegt, und die Kinder saßen geborgen darin, an den Rücken der Mutter geschmiegt. In stockendem Englisch erklärte ihr Dia, dass die Babys so von Mutter oder Vater getragen wurden, bis sie zwei oder drei Jahre alt waren, dann wurden sie vom Rest der Familie aufgenommen, und ein neues Baby nahm ihren Platz ein. Sie war jünger als Madi und deutete kichernd auf ihren Mann Uman, der zu scheu war, um sich zu ihnen zu setzen.
Sorgfältig drückte Madi die letzte Tonrolle auf den oberen Rand und glättete sie mit einem Stück Kalebassenschale. Es war ein hübscher bauchiger Topf geworden, wenn auch nicht so perfekt wie von einer Töpferscheibe. Dia erklärte ihr, dass sie alle Töpferwaren von Hand machten, benutzte einen abgegriffenen Stein, um die Außenseite glatt zu streichen, und sagte, der Topf würde in der Sonne getrocknet, dann verziert und über dem Feuer gebrannt. Man würde ihn zum Kochen und Aufbewahren von Nahrungsmitteln verwenden. Dia gab Madi einen spitzen Stock und bat sie, ihren Namen in den Topf zu ritzen.
Madi war zufrieden mit ihrem Machwerk und wünschte sich, sie könnte es mitnehmen.
»Na, was halten Sie davon?«, fragte sie, als Lester ihren Topf beäugte.
»Nich schlecht. Mann, Sie werden ja 'ne richtige Eingeborene«, meinte er glucksend.
Madi tätschelte Lesters Arm. Normalerweise hatten sie kaum Körperkontakt, obwohl Madi bemerkt
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