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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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wir zum Kaieteur?«, fragte Madi, begierig auf Einzelheiten.
    »Mit dem Auto nach Kangaruma, das dauert einen Tag. Dann mit Langbooten den Potaro hinauf. Da gibt es drei Abschnitte mit Stromschnellen, die wir umgehen müssen.«
    »Und wir müssen alles tragen?«, fragte Sharee.
    »So ist es«, sagte John. »Im Allgemeinen kann man indianische Träger bekommen, aber die erscheinen manchmal nicht zur vereinbarten Zeit.«
    Ann grinste. »Das ist meine Aufgabe. Man schickt Botschaften mit dem Dschungeltelegrafen, und dann legen die Tom-Toms los. Man sichert sich so gut wie möglich ab und hofft das Beste.«
    »Die Kanus werden immer älter und löchriger, je weiter man den Fluss hinaufkommt«, fügte John hinzu. »Das gehört alles zum Abenteuer.« Er brüllte vor Lachen, und Sharee schaute etwas verunsichert.
    Ann knuffte ihren Mann spielerisch in die Seite. »Um Himmels willen, John, hör doch auf, allen Angst einzujagen. Es ist wirklich ein Spaziergang – mehr oder weniger. Wir haben schon so lange nichts Abenteuerliches mehr unternommen. Ich freue mich richtig darauf.«
     
    Später am Nachmittag zogen sie sich um und setzten sich mit einem Rumpunsch auf die Veranda. Madi wünschte, sie müssten nicht nach
New Spirit
zurück. Sie genoss die Gesellschaft dieser sympathischen Menschen und war begeistert davon, dass Connor die Tour zum Kaieteur mitmachen würde. Sein trockener Humor war ein gutes Gegengewicht zu Johns jovialer, herzhafter Art. Ann mit ihrem Pragmatismus und ihrer Vernunft war dazu noch eine gute Erzählerin.
    Dieses unkomplizierte Paar empfand eine tiefe Liebe zu Guyana. Sie betrachteten das Land mit der Objektivität von Menschen, die im Ausland gelebt hatten. Sie verstanden die Gründe für die vorhandenen Mängel und wussten die Vorteile zu schätzen. Madi bewunderte ihre positive Einstellung und schloss daraus, dass Optimismus, Geduld und Erfindungsgabe nötig waren, um das Leben in Guyana zu genießen.
    Schließlich verabschiedeten sie sich von den da Silvas, gingen an Bord ihres Boots und fuhren den Fluss hinunter, der im Licht des Sonnenuntergangs wie Seide schimmerte. In
New Spirit
halfen Aradna und Rohan Handy beim Ausladen des Gepäcks, während die Gruppe über den Rasen auf das Haupthaus zuging.
    Der Oberst legte die Hände zu einem Trichter an den Mund und rief ihnen zu: »Die Drinks sind schon eingeschenkt.« Als sie die Terrasse erreichten, schaute Madi zurück zu dem goldglänzenden Fluss und entdeckte einen Pfad, der am Ufer entlang führte.
    »Ich glaube, ich lasse das mit den Drinks, Matt. Hab heute schon zu viel getrunken. Lieber mache ich noch einen Spaziergang am Fluss und schaue mir den Sonnenuntergang an. Wir sehen uns beim Essen.«
    »Denk dran, heute Abend wird früher serviert. Wir fahren nach Georgetown zurück, sobald der Mond aufgegangen ist.«
    »Keine Bange.«
    Madi war froh darüber, zum ersten Mal an diesem Tag allein zu sein. Sie ging langsam, blieb hin und wieder stehen, um sich umzusehen oder einen flachen Stein über das Wasser hüpfen zu lassen, wie sie es als Kind getan hatte, in jenen glücklichen Weihnachtsferien mit der ganzen Familie. Sie erreichte das Ende des New-Spirit-Geländes und bemerkte einen schon leicht zugewachsenen Pfad, der die grüne Mauer des Dschungels durchbrach. Wieder blieb sie stehen und schaute. Wie ein Zaubergarten, dachte sie. Tritt durch das unsichtbare Tor, und du bist in einer anderen Welt.
    Nachdem sie etwa zwanzig Minuten durch das dichte, dämmrige Unterholz gewandert war, kam sie an einen kleinen Seitenarm, der in den Fluss mündete. Am Ufer standen zwei grob zusammengezimmerte Stühle aus Buschholz. Sie setzte sich auf den einen und sah sich um. Ein hübscher Ort, um die Schönheit der Natur auf sich wirken zu lassen, dachte sie. Dann fiel ihr etwas ins Auge, das im Wasser schwamm.
    Aus Gründen, die sie sich später nicht mehr erklären konnte, suchte und fand sie schließlich einen langen Stock. Vorsichtig lehnte sie sich über einen Baumstamm, der halb in dem kleinen Bach lag, und stocherte nach dem dunklen, im trüben Wasser kaum erkennbaren Etwas. Der Stock blieb hängen, sie zog behutsam und bekam allmählich den schweren Gegenstand vom Baumstamm los.
    Ihr Schrei hallte hinauf in die Baumwipfel, aus denen sich kreischende Vögel erhoben. Es war ein Schrei des Entsetzens. Eine goldene Uhr glitzerte an einem dunklen Arm, von dem die Hand in einer Geste der Niederlage schlaff herabhing. Der Körper bewegte sich in der

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