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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Vesta-Priesterinnen um Vibidia blickten betroffen zu Boden. Der mächtige Pontifex pro magistro führte die laufenden Amtsgeschäfte des Pontifex maximus, des Oberpriesters, und ihm oblag damit die Oberaufsicht über die Vestalinnen. Denn Kaiser Claudius, der das Oberpriesteramt, wie seit Beginn der Kaiserzeit üblich, innehatte, kümmerte sich wenig um den Vestadienst.
    »Wer von uns könnte in den letzten Tagen mit seinem Verhalten zu solchen Spekulationen Anlaß gegeben haben?« fragte Vibidia. Keine der Priesterinnen wagte der Ältesten ins Auge zu sehen.
    »Bei Vesta, unserer heiligen Mutter«, klagte eine von ihnen, »der Pontifex maximus soll jede von uns vom Tarpeischen Felsen stürzen, die einen Mann auch nur mit begehrlichen Blicken angesehen hat!« Eine andere Amata lamentierte: »Züchtigen soll mich der Pontifex mit der Peitsche, wenn ich mich auch nur in Gedanken der Sinnesfreude hingab.«
    Vibidia ging nervös vor den Priesterinnen auf und ab. »Jeder unserer Schritte«, sprach sie, »wird außerhalb dieses Hauses von zwei Liktoren begleitet, das macht uns für gewöhnlich über jeden Zweifel erhaben. Bei der Katastrophe am Fuciner See wurden wir jedoch unserer Bewachung beraubt. Eine jede versuchte mit heiler Haut davonzukommen, nicht anders die Liktoren.«
    »Mich brachte der Liktor Pontius nach Hause!« sagte eine der Vestalinnen. »Er wird bezeugen, daß kein Anlaß bestand für irgendwelche Verdächtigung.«
    »Wir werden das prüfen«, antwortete Vibidia und fuhr fort: »Ich selbst kam zusammen mit Lydia und Helia zurück. Der Kaufmann Marcellus brachte uns mit seinem Wagen in die Stadt. In der Kutsche saßen auch seine Frau und ihr Leibsklave. Wenngleich wir alle aufgeregt waren und glücklich, der Katastrophe entronnen zu sein, so kann niemand daraus ungebührliches Verhalten ableiten.«
    Nun richteten sich aller Augen auf Valeria. Sie war bereits einmal ins Gerede gekommen, als ein prominenter Rhetor sie monatelang verfolgte und mit Gunstbezeugungen bedachte. Der Mann, der es mit seiner Redekunst zu einem gefragten Strafverteidiger gebracht hatte, hatte sogar versucht, einen der beiden Liktoren zu bestechen.
    Valeria war etwa 30 Jahre alt und stand gerade in der Halbzeit ihrer Priesterschaft. Weil sie zweifellos die Schönste der Vestalinnen war, begegneten ihr die anderen mit Mißtrauen und Zurückhaltung; allein mit Tullia, der Jüngsten, pflegte sie freundlichen Umgang.
    »Die Liktoren haben mir berichtet, du seiest als letzte vom Fuciner See zurückgekommen«, sagte Vibidia an Valeria gewandt.
    Valeria antwortete: »Hier, seht die Schramme an meinen Armen und Beinen. Man hätte mich beinahe zu Tode getrampelt. Ich hatte auch nicht das Glück, von einer Kutsche mitgenommen zu werden. Ich kam zu Fuß.«
    Die anderen betrachteten die Verletzungen Valerias mit Argwohn. Vibidia machte ein bitteres Gesicht. »Wer sich wie eine Hure aus dem Lupanar bewegt, darf sich nicht wundern, wenn er von den Männern auch so behandelt wird …«
    »Was kann ich dafür, daß Vesta mich mit allen Attributen einer Frau ausgestattet hat«, verteidigte sich Valeria. »Bin ich deshalb eine schlechtere Hüterin des Feuers?«
    »Du weißt, daß es nach den heiligen Gesetzen der Vesta keine Rolle spielt, ob du dich freiwillig der Unzucht hingabst oder ob du dazu gezwungen wurdest. Solltest du dich aber vergessen haben, dann würde es deinem und unser aller Ansehen dienen, wenn du dich selbst anklagtest.«
    »Ich bin mir keiner Schuld bewußt«, schrie Valeria, »kein Mann hat mich in unlauterer Absicht berührt, ich schwöre es bei Vesta, meiner heiligen Mutter!«
    »Schwöre nicht, Valeria; denn der Meineid einer Vestalin ist ein ebenso großes Verbrechen wie die Unzucht. Gestehe! Gestehe und nimm von uns allen den Ruf der Schmach!«
    Valeria rief mit tränenerstickter Stimme: »Nie, nie werde ich bekennen, was ich nicht begangen habe!«
    »Dann werden wir dich der Peitsche des Pontifex übergeben«, sagte Vibidia mit unerbittlicher Stimme, »vielleicht werden die schneidenden Lederriemen aus dir herauspressen, was in jener Nacht geschah!«
    »Nein!« Der Aufschrei Tullias hallte durch das Atrium. Sie war aufgesprungen, hatte Valerias Arm umklammert und schluchzte, den Kopf an ihre Schulter gelehnt: »Valeria ist unschuldig. Ich habe Schuld auf mich geladen.«
    »Tullia!« Ein Ruf des Erstaunens kam wie aus einem Mund. Ungläubig starrten die Vestalinnen auf ihre Jüngste. »Laßt Valeria in Ruhe«, rief sie,

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