Der Gladiator
Freude!«
Vitellius wartete indes in einem von den übrigen Gladiatoren abgesonderten Raum auf seinen Auftritt. Das Flackern der Öllampe in dem fensterlosen Raum warf ein gespenstisches Licht auf die effektvolle Kleidung des Gladiators. Nervös nestelte er an den Lederriemen, mit denen sein rechter Arm kreuzweise umwickelt war. Auch Brustkorb und Waden wurden von Kreuzriemen umgürtet. Ein Lederband mit kurzen Schnüren zierte das rechte Knie. Um den Leib, den nur ein kurzer Lendenschurz verhüllte, trug Vitellius einen breiten Gürtel, dessen Schließe ein Sonnensymbol des Gottes Sol invictus darstellte.
Der Gladiator ging in dem dunklen Raum unruhig auf und ab. Immer wenn ein Jubelschrei aus hunderttausend Kehlen in den abgelegenen Raum drang, zuckte Vitellius zusammen. Er wußte nur zu gut, daß hier der Tod bejubelt wurde. Selbst hatte er keine Angst. Aber die Ungewißheit über den Verlauf des Kampfes erzeugte in ihm eine kaum zu beherrschende Spannung. Er mußte den Löwen ohne eigene Verletzung bezwingen. Ein Prankenhieb in den Arm konnte den Gladiator in Lebensgefahr bringen; denn hatte das wilde Tier erst einmal Blut geleckt, wurde es völlig unberechenbar. Und je länger der Kampf dauerte, desto mehr sanken die Chancen des Gladiators.
Die Löwen für die römischen Circusspiele wurden zu Hunderten in den afrikanischen Provinzen gefangen. Die Römer waren von ihnen fasziniert. Allein ihr Anblick versetzte sie in Ekstase. Vor allem die Gefahr, die von diesem Tier ausging, übte auf das Volk eine ungewöhnliche Anziehung aus. Ein Mann, der einen Löwen bezwang, sei es im Kampf oder durch Zähmung, genoß in Rom allerhöchstes Ansehen. Schon der große Feldherr Pompeius fuhr deshalb in einem mit zahmen Löwen bespannten Streitwagen zum Circus maximus, und auch Marc Anton hatte die Römer mit diesem Auftritt beeindruckt.
Vitellius ließ die Muskeln spielen. Sein drahtiger Körper war von den Fesseln bis in die Handgelenke durchtrainiert. Zur Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit, die ihn von Anfang an auszeichneten, hatten sich nun Kraft und Beherrschung gesellt. Er fühlte, daß er im Zenit seiner Leistungsfähigkeit stand; jetzt, wo er jeden Gegner schlagen konnte, brauchte er auch einen Löwen nicht zu fürchten.
»Herr, es ist Zeit!« Der Sklave riß Vitellius aus seinen Gedanken. Er griff nach dem Kurzschwert, atmete noch einmal tief durch und verließ den Raum in Richtung Arena. »Möge Mars deinen Kampf begleiten«, sagte der Sklave. Konzentriert, ganz auf das eingestellt, was ihm bevorstand, ging Vitellius durch die dunklen Gewölbe, sah nicht die schweißtriefenden Sklavinnen mit wirren Haaren, die ihm entgegenkamen, die blutenden Zwerge, hörte nicht die martialischen Posaunentöne, die seinen Kampf ankündigten, setzte nur einen Fuß vor den anderen, rhythmisch, bestimmt, eisern, so wie er auf den Löwen zugehen würde; das Tier oder er, für Vitellius war es keine Frage. »Hoc age!« rief er sich selber zu und riß sein Schwert wie zum Todesstoß in die Höhe.
Angespannte Sekunden des Wartens vor dem schweren roten Vorhang. Konzentration. Letzte Posaunensignale. Dann wurde der Vorhang aufgerissen. Fünf Schritte hinaus in den glühenden Sand. Sengende Hitze in der Luft. Der Applaus, ein Orkan. »Heil dir, Vitellius!« Beifallssummen von links, aus dem Hintergrund rhythmisches Klatschen mit der hohlen Hand. Für dich, Vitellius! Für dich! Einen Schritt vor den anderen setzen im tiefen Sand zu den Schlägen der Kesselpauken. Hitze. Die Riemen um den Brustkorb scheuerten. Die Kaiserloge. Aha, dort oben, weit entfernt, der Rotschopf. Grüßen. Griff zum Schwert. Ich will kämpfen! Kampf!
Es wurde plötzlich still. Wie von Geisterhand hob sich das schwere Gitter am entgegengesetzten Ende der Arena. Und da sprang er mit einem gewaltigen Satz aus dem dunklen Verlies, ein Monstrum von einem Löwen. Sandfontänen schossen ins Publikum. »Ich werde dich töten!« sagte Vitellius und streckte dem Tier sein Kurzschwert entgegen. Erst jetzt nahm der Löwe seinen Gegner wahr, stoppte mit gespreizten Beinen seinen Lauf und musterte mit furchteinflößendem Fauchen den Gladiator.
»Komm, komm doch!« versuchte Vitellius das Tier zu provozieren und setzte, das Schwert am ausgestreckten Arm führend, einen Fuß vor den anderen. Der Löwe duckte sich, als wolle er zum Sprung ansetzen. Keine zehn Schritte trennten die beiden voneinander. Die Zuschauer auf den Rängen wagten nicht zu atmen. Sie wußten von
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