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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zahllosen Löwenkämpfen, daß der Gladiator verloren war, wenn ihn die Bestie ansprang. Vitellius blieb stehen, sah die zusammengekniffenen Augen des Tieres, hörte den schnarrenden Atem. »Komm doch!« flüsterte Vitellius. Aber der Löwe verharrte mit angespannten Muskeln.
    Der Gladiator machte einen kurzen, heftigen Schritt nach vorn. Keine Reaktion. Ein Gefühl der Angst kroch an Vitellius hoch, die Unbeweglichkeit der Bestie verunsicherte ihn. Er sah, wie das Schwert in seiner Hand zitterte, ihm fehlte der Mut, auch nur noch einen einzigen Schritt näher an das Tier heranzugehen. Da erinnerte er sich einer oft beim Training geübten Variante: Vitellius begann vorsichtig und unendlich langsam seitlich um den Löwen herumzuschleichen. Rechten Fuß seitlich, linken Fuß nachziehen. Zunächst geschah gar nichts. Die Bestie blieb in ihrer sprungbereiten Stellung, nur der Kopf des Löwen verfolgte jeden Schritt zur Seite. Gelänge es ihm, aus der Sprungrichtung zu kommen, dann hatte er eine Chance, sich auf den Löwen zu stürzen und ihm das Schwert in den Leib zu rammen. Rechten Fuß seitlich, linken Fuß nachziehen.
    Da – ein Schrei aus dem Publikum. Ein Zuschauer hatte die Nerven verloren, brüllte und schlug um sich. Der Löwe schoß plötzlich auf Vitellius zu, er sprang nicht hoch, sondern hatte es auf die Beine des Gegners abgesehen. Doch Vitellius ließ sich blitzschnell fallen, überschlug sich rückwärts, die Bestie wich erschreckt aus und blieb schließlich wie angewurzelt stehen.
    Vitellius begann sein Spiel von neuem. Rechten Fuß seitlich, linken Fuß nachziehen. Aber noch ehe er eine für sich günstige Ausgangsposition erreicht hatte, drehte sich der Löwe und war wieder zum Sprung bereit. Zweimal wiederholte sich dieses Spiel. Da, auf einmal bewegte Vitellius das rechte Knie und griff mit der linken Hand in den Sand. Viele Zuschauer glaubten, er sei gestrauchelt und suche Halt; doch dann lief alles in Sekundenschnelle ab.
    Der Gladiator schleuderte der fauchenden Bestie eine Handvoll Sand in die Augen. Mit der rechten Tatze versuchte der Löwe den brennenden Staub aus den Augen zu wischen. Vitellius nutzte diesen Augenblick der Unachtsamkeit, sprang seitlich auf das Tier zu, holte aus und stach mit aller Kraft zu, deren seine Rechte fähig war. Der Löwe bäumte sich auf, wälzte sich gurgelnd auf die Seite, als wolle er die Wunde im Sand der Arena zupressen, da stach Vitellius ein zweites Mal zu, ein drittes Mal. Ein Aufschrei der Erleichterung ging über die Tribünen.
    Während helles rotes Blut aus den Wunden des Tieres rann, versuchte der Löwe taumelnd auf die Beine zu kommen und zum Sprung auf Vitellius anzusetzen. Aber der Gladiator tänzelte um das Tier herum, änderte ständig die Richtung und entkräftete so den nachsetzenden Löwen vollends; schließlich ließ sich die verendende Bestie im Sand der Arena nieder und legte, unter dem tosenden Beifall des Publikums, den Kopf mit weit aufgerissenem Rachen seitlich in den Sand.
    »Vitellius! Vitellius!« schrien die Zuschauer aus hunderttausend Kehlen. Angestachelt von dem nicht enden wollenden Applaus ging der Gladiator auf den blutenden Löwen zu. Er sah seine großen, hilflosen Augen, die ihm noch vor wenigen Augenblicken Angst eingeflößt hatten. Vitellius nahm sein Schwert in beide Hände, hielt es hoch über den Kopf und ließ die Waffe auf den Hals des Tieres niedersausen. Die verendende Bestie zuckte zusammen; dann blieb sie regungslos liegen. Die Arena bebte bis in die Grundmauern. Blumen flogen in den von Kampfspuren zerfurchten Sand, bunte Tücher, Papyrusröllchen, mit leuchtenden Bändern umwickelt.
    Vitellius schritt mit zum Himmel erhobenen Armen durch den Circus, hob hie und da eine Blume auf, warf sie ins Publikum zurück und verursachte damit Ringkämpfe auf den Tribünen. Ein paar Schriftröllchen klemmte er in die Lederriemen auf seiner Brust, dankend winkte er ins Publikum. Der Beifall wollte kein Ende nehmen.
    Kaum hatten die regulären Zuschauer sich beruhigt, begannen die bezahlten Beifallsspender des Pheroras ihr Werk: bald kam der Applaus von vorne, bald von hinten, diszipliniert, lautstark und mitreißend, so daß auch das übrige Publikum von neuem zu klatschen begann. Vitellius badete im Beifall, er sog die Ovationen der Zuschauer in sich auf wie die Kühle eines Oktobermorgens in den Wäldern Campaniens. Während Sklaven den Tierkadaver mit Haken aus der Arena schleiften und eine dunkelrote Schleifspur in den

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