Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Wind an.« Wieder schmunzelte Marcus. »Hier in Australien fliege ich durch weiten blauen Himmel, über ein so riesiges, atemberaubend schönes Land. Für selbstverständlich werde ich das nie halten.«
Marcus spürte Lyles Leidenschaft. Er stellte viele Fragen über den Service der Fliegenden Ärzte, beeindruckend kluge Fragen für einen Jungen seines Alters. Er interessierte sich dafür, wie man mit gewissen medizinischen Problemen in ländlichen Gemeinden umgehen konnte und wie Lyle Leute behandelte, wenn er so weit von jedem Krankenhaus entfernt war.
»Und was ist, wenn Sie jemanden aufschneiden müssen?«, fragte er. »Und da ist kein Platz, wo man das machen könnte?«
»Normalerweise ist ein Küchentisch in der Nähe, und ein scharfes Messer und auch Nadel und Faden«, sagte Lyle und musste lachen, als er das Entsetzen in Marcus’ Gesicht sah. »Ich ziehe dich bloß auf, mein Junge. In dem Fall bringen wir den Patienten mit dem Flugzeug ins Krankenhaus.« Er konnte sich gut vorstellen, was für ein Bild sich Marcus in Gedanken gerade ausmalte.
»Ich würde gern eines Tages in einem Flugzeug fliegen, aber aufgeschnitten werden möchte ich nicht so gern«, sagte Marcus ganz ernst.
»Du wärst ein großartiger Arzt, Marcus«, sagte er. Elenas Sohn hat einen klaren Verstand für einen Zwölfjährigen und genau die richtige Veranlagung für einen Arzt, dachte Lyle.
Der Junge strahlte. »Meinen Sie wirklich?«, fragte er begeistert.
»Ja, allerdings. Du solltest mal darüber nachdenken. Vielleicht wirst du ja Arzt.«
»Wenn ich ein Fliegender Arzt würde, so wie Sie, könnte ich die ganze Zeit in einem Flugzeug sitzen«, meinte er fröhlich.
Marcus hatte Lyle bereits erzählt, dass er auf einer Rinderfarm lebte. »Willst du nicht Farmer werden wie dein Vater?«, fragte er.
»Nein, dass möchte ich auf keinen Fall«, gab Marcus bestimmt zurück.
Lyle lächelte, weil der Junge seine Frage so vehement verneinte. Dann erkundigte er sich nach seinen Geschwistern.
»Ich habe zwei jüngere Geschwister, einen Bruder und eine Schwester, und sie sind völlig anders als ich«, erklärte Marcus entschieden.
»Inwiefern sind sie denn anders?«, wollte Lyle wissen. Das Herz wurde ihm schwer, als er dachte, dass Elena mit ihrem Mann drei Kinder hatte.
»Sie spielen gern draußen im Dreck, und ich lese lieber, wenn ich keine Arbeiten auf der Farm zu erledigen habe«, antwortete Marcus. »Sie mögen die Schule nicht, lernen auch nicht gern, aber ich will einmal an der Hochschule studieren.«
Lyle war sehr beeindruckt. Marcus kommt auf seine Mutter, dachte er, er hat viel von Elena. Nach Marcus’ Vater fragte er nicht, es wäre zu schmerzlich für ihn, etwas über den Mann zu erfahren, mit dem Elena ihr Leben teilte.
»Was ist denn los, Lyle?«, fragte Alison, als sie schon zwanzig Minuten im Flugzeug saßen und er noch kein Wort gesprochen hatte. Sie waren auf dem Rückweg nach Cloncurry. »Machst du dir Sorgen über einen Patienten?«
»Es ist immer schwierig, wenn es um Kinder geht«, antwortete Lyle absichtlich vage, während er aus dem Fenster auf die weitläufige, eintönige Landschaft unter ihnen schaute. Gerade waren sie über die Ayrshire Hills geflogen. Vom Flugzeug aus wirkten die Hügel wie verwitterte, zerklüftete Felsformationen. Zu allen Seiten erstreckte sich weithin trockenes Grasland in unterschiedlichen Schattierungen von Gelb. Lyle entdeckte vereinzelte Windmühlen, die Wasser aus dem Boden pumpten und in Viehtröge leiteten. Er mochte immer noch nicht glauben, dass Rinder in solch karger Umgebung überleben konnten, aber immer wieder flogen sie über große Herden.
Lyle konnte nicht aufhören, an Marcus zu denken. Er wusste, Krampfattacken konnten gefährlich werden, da sie jederzeit unvermittelt auftraten. Wenn Marcus nicht in einer sicheren Umgebung und noch dazu allein war, mochte er sich gar nicht vorstellen, was ihm zustoßen konnte. Er hatte versucht, dem Jungen zu erklären, dass er sich in gewisse Situationen nicht begeben durfte, doch es war schwer, so etwas einem Jungen seines Alters klarzumachen. Kinder hatten den Blick für Gefahren nicht, wie Erwachsene ihn hatten.
Lyle hatte Alison erzählt, dass er seinen Sohn verloren hatte, also glaubte sie, das sei der Grund dafür, dass er sich die Behandlung von Kindern so schwer machte. Wenn sie ihn im Umgang mit einem kranken Kind beobachtete, entdeckte sie manchmal eine Spur quälender Traurigkeit in seinen Zügen. Er tat alles für
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