Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Shirley nicht allein in ihrem Zimmer war. Sein erster Gedanke war, dass sich seine Vermieterin mit Bernadette stritt. Dann hörte er Gelächter, gefolgt von der Stimme eines Mannes. Es klang nach Alain.
Eine Weile stand Lyle wie angewurzelt da und überlegte, weshalb sein Kollege in Shirleys Zimmer sein mochte. War Shirley krank? Dann hörte er sie wieder lachen. Er musste sich eingestehen, dass es nicht das Gelächter einer Kranken war. Lyle vernahm wieder Alains Stimme, auch Alain lachte. Das an sich war schon ungewöhnlich, aber was Lyle am meisten überraschte, war die Tatsache, dass es kein unbedarftes Lachen war, sondern vielmehr das intime Kichern von Verliebten.
Abgesehen davon, dass Alain und er als Ärzte arbeiteten, hatten die beiden Männer nichts gemeinsam. Lyle war extrovertiert und jovial, er betrieb gern Sportarten wie Eisstockschießen, Fußball und Darts, während es Alain vorzog, seine Freizeit mit Lesen zu verbringen. Am Krankenbett im Gespräch mit Patienten wirkte er eher zurückhaltend, und oft missverstand man seine ruhige und in sich gekehrte Art. Mit seinem schneidigen Aussehen zog Lyle die Krankenschwestern an wie ein Magnet, während Alain eher nicht die Sorte Mann war, die von Frauen beachtet wurde. Er war nicht unattraktiv, er fiel nur einfach nicht weiter auf.
Lyle war perplex. Shirley war mindestens zehn Jahre älter als Alain, vielleicht sogar fünfzehn. Und sie war sehr temperamentvoll. Lyle ging in sein Zimmer, doch bei aller Müdigkeit fand er keinen Schlaf. Immer wieder fragte er sich, wie lange zwischen Alain und Shirley schon etwas war und wieso er die Anzeichen dafür nicht bemerkt hatte. Aber schließlich war er ja meistens im Krankenhaus oder mit Elena zusammen. Er überlegte, ob die Affäre vielleicht begonnen hatte, als er in Dumfries war, aber glauben mochte er es so recht immer noch nicht.
Lyle lag noch Stunden wach. Als er aufhörte, über Alain und Shirley nachzudenken, quälte er sich mit Grübeleien über Millie und Elena und darüber, ob Alain wusste, wie es um ihn stand. Er war immer besonders wachsam gewesen, weil er niemandem gegenüber seine Gefühle für Elena offenbaren wollte. Lyle wollte nicht riskieren, dass Alain oder einer der anderen Ärzte aus Dumfries bei einem Besuch zu Hause Millie vorsätzlich oder auch unbedarft von seiner Beziehung zu Elena berichtete. Außerdem hatte er Sorge, Alain könnte das Thema Millie vor Elena zur Sprache bringen.
Schließlich sah er ein, dass er in dieser Nacht keines seiner Probleme mehr würde lösen können. Gegen drei Uhr morgens sank Lyle endlich erschöpft in den Schlaf.
Elena bekam die ganze Nacht kein Auge zu. Um sechs Uhr früh stand sie auf und zog sich an. Es war noch dunkel, und ihre Eltern lagen noch im Bett. Weil sie ihnen aus dem Weg gehen wollte, verließ sie das Haus vor sieben Uhr. Auch wenn sie nicht in Lyle verliebt gewesen wäre – Aldo Corradeo konnte sie nicht heiraten, das wusste sie mit Bestimmtheit. Er schien ja ganz nett zu sein, aber beim Gedanken an Intimitäten mit einem Mann, den sie nicht attraktiv fand, empfand Elena nur Ekel. Nie und nimmer würde sie das Bett mit ihm teilen wollen, und sie mochte nicht glauben, dass ihre Eltern so etwas von ihr erwarteten. Ihr Entschluss stand fest. Wenn ihr Vater ihr nicht erlaubte, sich mit Lyle zu treffen, würde sie einfach mit ihm davonlaufen.
Elenas Schicht begann an diesem Tag erst um zehn Uhr, also zog sie ihre Schwesterntracht noch nicht an, sondern nahm sie mit, als sie das Haus verließ. Sie wusste, Lyle sollte gegen Mittag mit seiner Schicht beginnen. Innerlich aufgewühlt ging sie zur Ashbourne Street. Lyle hatte ihr einmal das Haus gezeigt, in dem er ein Zimmer im ersten Stock bewohnte, und sie wusste, direkt gegenüber befand sich ein Café. Einmal hatten sie dort zusammen etwas getrunken.
Elena setzte sich in das Café, bestellte eine Tasse Tee, beobachtete das Haus, in dem Lyle das Zimmer angemietet hatte, und hoffte, er würde herauskommen. Sie sah Alain McKenzie aus dem Haus kommen. Offensichtlich machte er sich auf den Weg zur Arbeit. Eine Weile später sah sie ein dunkelhaariges, sechzehn oder siebzehn Jahre altes Mädchen mit einem Wäschesack das Haus verlassen. Lyle hatte ihr von Bernadette Dobson erzählt und davon, wie Mrs. Blinky das Mädchen behandelte, also wusste sie, dass sie es sein musste. Die Wäscherei war eine Straße weiter. Um halb neun sah Elena die Hausbesitzerin mit einer Einkaufstasche aus dem Haus
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