Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
und dass seine Beine eingegipst waren. Was er von seiner Haut sehen konnte, war übersät von roten Flecken und Schürfwunden, überall klebten große Pflaster. Aldo bot einen schrecklichen Anblick, man konnte ihn kaum erkennen. Es war verstörend, ihn so zu sehen, Marcus zwang sich jedoch dazu, sich dem Bett zu nähern.
»Hallo, Papà«, flüsterte er. Wieso er flüsterte, wusste er nicht. Es kam ihm angemessen vor in der Stille des Krankenhauses.
Als er in Aldos Blickfeld kam, weiteten sich dessen Augen. »Marcus«, sagte er, und die Verzweiflung stand ihm im Gesicht geschrieben. Er streckte die Hand aus und umklammerte den Arm des Jungen. »Ich kann meine Beine nicht spüren.«
»Wieso nicht, Papà?«, fragte Marcus und schreckte zusammen. Ein Schmerz durchzuckte seinen Arm. Sein Papà machte ihm Angst.
»Habe ich noch meine Beine?«, fragte Aldo voller Kummer.
»Ja, Papà«, antwortete Marcus mitleidig. Er hatte keine Ahnung, wie er es fertig bringen sollte, diesen Mann nicht mehr als seinen Vater zu sehen.
»Du lügst. Hat der Doktor dir gesagt, dass du mich anlügen sollst?«
»Nein, Papà.« Marcus war gekränkt. Warum unterstellte Aldo ihm eine Lüge? »Ich würde dich doch nicht belügen«, erklärte er nachdrücklich.
Aldo war so verzweifelt, dass er gar nicht richtig zuhörte. »Sie sind weg, die Beine, ja?« Seine Stimme klang jetzt hysterisch.
»Nein, Papà«, antwortete Marcus verstört. »Sie sind nur eingegipst.«
»Hör auf mit dem Lügen«, schimpfte Aldo. »Sie haben mir die Beine abgeschnitten. Wieso lügst du mich an?«
»Das tue ich doch gar nicht, Papà«, sagte Marcus den Tränen nahe. So hilflos hatte er Aldo noch nie gesehen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er sah zur Tür und hoffte, eine Krankenschwester käme vorbei.
Aldo ließ den Arm des Jungen los und streckte die Hand zu seinen Oberschenkeln aus. Er betastete die Haut dort, wo der Gipsverband abschloss, aber es fühlte sich nicht so an, als würde er seine Beine berühren. Aldo war verwirrt. »Ich spüre meine Beine nicht«, brüllte er. »Wo sind sie? Wo sind meine Beine?«
Marcus trat verzweifelt ans Fußende des Bettes und griff nach Aldos Zehen. »Guck, Papà«, sagte er in der Hoffnung, ihn zu beruhigen. »Fühlst du, dass ich an deine Zehen fasse?«
»Nein«, schrie Aldo. »Wieso kann ich meine Zehen nicht fühlen?«
Neil Thompson saß in seinem Sprechzimmer und hörte das Geschrei. Irgendetwas stimmte da nicht. Schnell lief er zu Aldos Zimmer. Er sah Deirdre, die ebenfalls auf dem Weg dorthin war.
»Wo sind meine Beine?«, brüllte Aldo Neil an.
»Sie haben Blutergüsse und Schwellungen am Rücken, Aldo. Bitte beruhigen Sie sich«, sagte Neil.
»Lügen Sie mich nicht an. Wenn meine Beine da sind und ich sie nicht spüre, kann das doch nur eines bedeuten, nämlich dass ich … dass ich ein Krüppel bin!«
»Wir sprechen morgen über Ihren Zustand, Aldo. Heute möchte ich, dass Sie sich ausruhen.« Neil gab Deirdre Zeichen, dass sie eine Beruhigungsspritze vorbereiten sollte.
»Ich werde nie wieder laufen können, hab ich Recht?«, fragte Aldo gequält. »O mein Gott, wieso bin ich nicht einfach gestorben?«
Aldos Qual war zu viel für Marcus. Er wich kreidebleich zur Tür zurück. Dass sein Papà nie wieder würde laufen können, war undenkbar. Er wusste, daran würde er zerbrechen.
Deirdre kam mit der Spritze ins Zimmer, und Neil verabreichte dem Patienten das Beruhigungsmittel, es wirkte fast sofort. »Dein Papà muss jetzt ruhen«, sagte Neil zu Marcus und führte den Jungen aus dem Raum.
»Wird er wieder gesund?«, fragte Marcus, als sie draußen auf dem Korridor waren. »Oder wird mein Papà für den Rest seines Lebens ein Krüppel bleiben?«
»Seine Verletzungen sind sehr ernst, aber sein Leben ist nicht in Gefahr«, antwortete Neil. »Du kannst morgen wiederkommen und ihn besuchen.«
Das war nicht die Antwort, die Marcus erhofft hatte, doch er fragte nicht noch einmal nach. Marcus verstand, dass der Arzt ihm nicht die Wahrheit sagen wollte.
Als Lyle die Tür zum Haupteingang des Krankenhauses öffnete, schoss Marcus wie ein Pfeil an ihm vorbei nach draußen.
»Marcus!«, rief er, »warte!«, aber der Junge beachtete ihn gar nicht. Er rannte geradewegs auf das Haus seiner Großeltern zu.
Lyle ging sofort in Neil Thompsons Sprechzimmer.
Neil fiel gleich auf, dass Lyle außer sich war. »Sie haben doch keinen Patienten verloren, oder, Lyle?«, fragte er mitfühlend.
»Nein«, erwiderte Lyle
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