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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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selbst, denn jede Seite wird dich töten, und auch wer auf k einer Seite steht, wird dich töten, auch die Frauen und Kinder werden dich töten, all diese Werkzeuge des Krieges, und er hatte selbst getötet und wußte, er würde wieder töten, ohne innezuhalten oder zu zögern, ohne nachzudenken, ehe er es tat. In seinem Innern spürte er, daß er seine Lektion gelernt hatte und sie nie wieder vergessen würde. Das war etwas, was sich nicht mehr wegreden oder wegdenken ließ. Es war so alt wie die Sonne selbst.
    »Du mußtest tun, was du heute nacht getan hast«, sagte sein Vater.
    »Ich weiß, Vater.«
    »Du weißt, daß ich nicht mitkomme, wenn du gehst.«
    »Ich weiß.«
    »Wenn du gehst, reite nach Süden. Such Moxley und Yandell und Tom Allen und Little Sandy. Sie sind bei der Artillerie am Potomac. Das Wasser ist zu hoch, sie können nicht rüber. Sie werden dich aufnehmen. Sie werden dir was beibringen. Sie werden sich um dich kümmern. Sag ihnen, du bist ich. Sag ihnen das.«
    »Ich bin du«, sagte er.
    »Mir ist so kalt«, sagte der Vater, und das waren die ersten Worte, die seinen Schmerz und seine Verzweiflung verrieten. »Ich glaube, so kalt war mir noch nie, und mir ist schon ganz schön kalt gewesen.«
    Robey schlang die Arme um ihn und hielt ihn fest. Der Kopf des Vaters lehnte an seiner Brust, er war eine einzige faulige Wunde. Während er den Vater festhielt, dachte er nicht an das, was passiert war und was in den nächsten Stunden und Tagen noch passieren würde. Sie waren hier beieinander, und sie lebten, egal wie kurz die Zeit war, egal wie schnell der Moment sich näherte und verging.
    Er hielt ihn die ganze Nacht im Arm, und der Vater, schwach und zerbrechlich, verlor weiter an Boden, als die Nacht fortschritt, aber Robey ließ ihn nicht los, als könnte er mit der Umklammerung die Gewißheit des Todes abwehren. Der Vater zitterte, sein Körper war kalt, Gesicht und Augen waren ausgetrocknet. Dann flüsterte er etwas, und er bat ihn, sag es noch mal, und beugte sich vor, um ihn besser zu verstehen.
    »Wo warst du heute abend?« fragte der Vater, nun wieder mit klarer, kräftiger Stimme, als wäre es möglich, daß er sich doch noch erholte.
    »Ich hab ein Pony und einen Karren gesucht, um dich nach Hause zu bringen.«
    »Du bist ein guter Junge, aber ich denke nicht, daß ich noch von hier wegkomme.«
    »Ich weiß.«
    »Ich denke, das ist der letzte Tag in meinem Leben«, sagte er, und Robey hörte das Gurgeln, mit dem ein Lachen erstickt wird. »Deiner Mutter wird das gar nicht gefallen. Du mußt es ihr sagen, ich komme nicht mehr dazu.«
    Dann klammerte er sich am Ärmel seines Sohnes fest, als ein heftiger Krampf mehrmals durch seinen Körper fuhr. Sein rasselnder Atem stockte, und er seufzte. Schwerer Tau hatte sich auf die Felder gelegt, die sich jetzt unter dem Mond vor ihnen hinstreckten wie ein breiter Pfad mit weißen Edelsteinen auf blauem Samt.
    »Ah«, stöhnte der Vater, als wäre er von einem weiteren Teil seiner Sterblichkeit befreit.
    Er hielt den Kopf des Vaters im Schoß, legte einen Arm über seine Brust. Der Vater ergriff den Arm und ließ ihn nicht mehr los. Robey spürte, wie sich seine Finger verkrallten und ihre Kraft auf ihn übertrugen.
    »Ich bin sehr müde«, sagte der Vater, und wieder fuhr ein Zucken durch seinen Körper, ließ ihn sich aufbäumen wie ein Mann, der im Traum kämpft, und dann war er wieder ruhig.
    »Es ist an der Zeit«, sagte er schließlich.
    »Nein, Vater. Es ist noch nicht an der Zeit.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    »Heute ist es soweit.«
    »Nicht heute, Vater. Bitte nicht.«
    »Wir sehen uns auf den alten Feldern wieder«, sagte der Vater mit schnellen, flachen Atemzügen.
    Er wußte, es war soweit, der Vater ging jetzt den Weg der Sterbenden. Er wußte jetzt, alles und jeder stirbt irgendwann, und er wußte, das Leben bedeutet wenig. Er wußte, alles, was war, war bereits gewesen. Er wußte, das Leben der Menschen war nichts als ein schwacher Hauch, egal was sie taten und sagten und was sie von sich selbst dachten. Er wußte, die Erde war von Zorn erfüllt, und das Böse war lebendig, so lebendig wie jeder Mann und jede Frau. Er wußte, das Leben bedeutete ihm nicht viel, aber hier ging es um das Leben seines Vaters.
    »Jetzt werde ich zu dir«, sagte sein Vater, »und du bist schon ein alter Mann. «
    U nd dann sagte er: »Ich komme.«
    So merkwürdig diese Verwandlung des Sohnes auch war, der seinen Vater in sich aufnahm, sie war greifbar und

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