Der goldene Kuß
und trank Kognak. O Himmel, dachte Cranz, auch das noch. Wenn sie betrunken ist, macht sie uns einen Schnee-Step vor. »Den heiligen Aloys überzeugen auch Sie nicht, Vera. Oh, ich alter Esel!«
Aber Detlev Cranz wagte es trotzdem. Mit wehem Herzen, denn wer Biggi Bergen ansah, bekam andere Gedanken als Streit, brüllte er sie zusammen und schickte sie ins Tal.
»Sie fahren zurück!« schrie er. »Ich will Sie hier nicht mehr sehen! Nie mehr!«
Biggi Bergen verstand. Sie warf den Kopf in den Nacken und ließ sich von einem Tontechniker ins Tal fahren. Dort stieg sie in den Zug und dampfte ab.
Nach zehn Tagen Dreharbeiten kehrte das Team an den Rhein zurück. Theo Pelz ließ Cranz sofort zu sich bitten.
»Gut, daß Sie da sind, Cranz«, sagte er steif, »ich wollte die Dreharbeiten nicht stören. Der Herr Intendant erwartet Sie.«
»Ich ahnte es. Schlimm?« Cranz brach der Schweiß aus. Seine Augen bettelten um eine Auskunft. Theo Pelz nickte.
»Sie sind ein dämlicher Kerl! Wie konnten Sie sich mit solch einem kleinen Aas einlassen?«
»Das fragt man sich hinterher immer. Sie hat einen wundervollen Körper.«
»Das sagen Sie mal dem Alten.« Pelz sah auf seine Armbanduhr. »Los, auf in den Kampf. Und nehmen Sie kein Blatt vor den Mund.«
»Ich begehe doch nicht Harakiri!«
»Ich werde Ihnen beistehen.« Pelz klopfte dem verzweifelten Cranz auf die Schulter. »Ich habe etwas in der Tasche, was auch den heiligen Aloys nachdenklich machen wird …«
Cranz hatte das Gefühl, zu einer Hinrichtung geführt zu werden.
Dr. Rathberg empfing Theo Pelz zunächst allein. Er war in schlechter Laune. Parteikollegen aus Bonn hatten ihn besucht und sich wieder über eine politische Sendung beschwert. Man warf dem Sender Einseitigkeit in der Berichterstattung vor. Mit Erstaunen stellte die Pateileitung fest, daß man von einem christlichen Intendanten recht wenig merkte. Das politische Programm ›roch roh‹, wie Freunde aus Bonn es maßvoll ausdrückten.
»Bin ich ein Regierungssender?« hatte Dr. Rathberg erregt zurückgefragt. Man hielt diese Frage für sehr unpassend und hatte sich eisig verabschiedet. Wo käme in Deutschland eine Demokratie hin, wenn man solche Fragen beantworten sollte … Die deutsche Auffassung von Demokratie ist sowieso eine sehr pikante …
»Schon wieder Ärger mit dem ›Politischen Magazin‹«, sagte Dr. Rathberg, als Pelz eingetreten war. »Zwölf Minuten SPD und nur neun Minuten CDU! Das sind drei Minuten Benachteiligung.«
»Wir werden nächstens deutlich sichtbar eine große Stoppuhr ins Studio stellen und dem Sprecher laut das Zeichen ›Achtung – auf die Plätze – fertig – los!‹ geben. Ob das Bonn beruhigt, daß dann sogar die Sekunden gezählt werden?«
»Mit Sarkasmus ist das nicht zu lösen, Herr Pelz. Die Bonner Herren sind empfindlich wie Mimosen. Wir müssen im nächsten Politischen Magazin eine CDU-Sendung vorziehen.«
»Dann kommt die SPD und weint.«
Rathberg hob hilflos die Schultern und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Sie haben Cranz mitgebracht?«
»Ja. Er wartet bei der Kannegießer wie ein Delinquent.«
»Ein tolles Stück, was? Nimmt eine Cutterin auf die Bude und verspricht, aus ihr einen Star zu machen. Unser seriöser Cranz! Ist er verrückt?«
»Von bestimmten Situationen an ist jeder Mann nicht mehr zurechnungsfähig.«
»Sie müssen es ja wissen, Herr Pelz.«
»Eben deshalb. Meine Erfahrung in solchen Dingen …«
Rathberg und Pelz sahen sich eine Weile stumm an. So grundverschieden diese beiden Männer waren, sie mochten sich, auch wenn ihr Zusammentreffen immer mit einer Auseinandersetzung endete. Aber irgendwie brauchte der eine den anderen, weil jeder etwas hatte, was dem anderen fehlte. Sie ergänzten sich und waren sich in einem Punkt einig: Ein Funkhaus zu leiten, das ist fast wie die Beherrschung eines Irrenhauses.
»Lassen Sie Cranz kommen«, sagte Rathberg ernst. Theo Pelz blieb stehen und faßte in seine Rocktasche.
»Zuvor noch etwas, Herr Intendant. Ich wollte es Ihnen im Jagdhaus schon sagen, aber dann hatten wir ja anderes zu tun. Es handelt sich um den Tod von Klaus Damms.«
»Ach! Sie haben neue Erhebungen?«
»Ich kenne den Grund des Selbstmordes.«
Dr. Rathberg sah seinen Programmdirektor betroffen an. Er hatte Pelz noch nie so ernst gesehen.
»Er hatte also einen Grund?«
»Wenn man sein Leben wegwirft, tut man das nicht aus Neugier, wie es hinterher aussieht.« Theo Pelz nahm ein paar Blätter aus der
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