Der goldene Schwarm - Roman
Träume.
Als er erwacht, findet er sich auf vertrautem Terrain wieder. Der Wagen biegt um eine letzte Ecke, in eine private Einfahrt – der Cradle’sche Bestechungsfonds ist flüssiggemacht worden –, fährt quer durch einen Vordergarten und wieder auf die Straße, und da ist Harticles, dessen große Festungstüren offen stehen, um sie zu empfangen.
Joe wirft Polly einen Blick zu. Sie zuckt mit den Schultern. »In diesen Dingen ist Mercer besser als ich. Ich werde ziemlich sauer, wenn man mir erzählen will, wie man richtig recherchiert, aber in diesen Fragen halte ich mich an ihn. Wir können dich nicht heute Nacht außer Landes schaffen. Und wenn, wäre ich mir nicht sicher, wohin du gehen solltest. Du musst also dort bleiben, wo du den Menschen am Herzen liegst, und das Beste hoffen.« Sie schaut zu Edie hinüber, die zustimmend nickt.
Joe denkt darüber nach, wie erstaunlich es ist, dass eine Welt, die am Rande des Chaos und der Katastrophe steht, noch die Zeit dazu findet, einen überforderten Uhrmacher zu jagen.
Er fragt sich, ob sie die Foalburys nicht wenigstens vorher anrufen sollten, aber dann fallen ihm all die Filme ein, in denen der Flüchtige kurz ein Mobiltelefon einschaltet und sofort lokalisiert wird. Ihm fällt auf, dass Mercer die ganze Zeit über kein Handy bei sich gehabt hat. Es ist fast, als sähe man ihn nackt.
Sie treten hinaus in die Feuchte der frühen Morgenstunden. Der Wagen lässt seine Scheinwerfer zweimal aufblitzen, orangefarbene Lampen, die den Rinnstein und die mit Vorhängen verdeckten Fenster der Guildholt Street beleuchten, und dann warten sie.
Nach einem Augenblick stößt Mercer ein Knurren aus. »Es sollten schwere Jungs hier sein. Ich habe Sicherheitsleute angeordnet.«
»Bleiben oder abfahren?«, fragt Polly.
Als er zögert, schaltet Edie sich ein. »Wir bleiben. Wenn wir in die Scheiße geritten wurden, sitzen wir sowieso schon drin. Wenn nicht, geben wir einen sicheren Ort auf. Vielleicht mussten sich Ihre schweren Jungs um einen Spitzel kümmern.«
Mercer nickt: möglich. Joe, der sich hier zu Hause fühlt, geht ihnen voran die Treppen hinauf und riecht das feuchte Eichenholz und das Eisen. Die offen stehende Tür gleitet bei seiner Berührung lautlos zurück. Der Flur liegt in diskreter, einladender Dunkelheit. Er riecht alten Teppich und Schmieröl. Einen Augenblick rümpft er die Nase, als er einen pfefferähnlichen Geruch wahrnimmt, und bleibt stehen, aber der Duft ist schon wieder verflogen. Edie bummelt herum, betrachtet die Bilder, die Glasvitrinen und einen verzierten Papierkorb (Eisen und Goldregenholz, ca. 1920). Nach einer Weile lässt sie eine Sandwichverpackung in den Papierkorb fallen und spaziert weiter. Es scheint ein komischer Moment zu sein, um seine Handtasche auszumisten, aber Joe vermutet, dass man im Alter ohnehin immer nur im Augenblick lebt.
»Bob?«, ruft er gedämpft in die Dunkelheit hinein.
Aus dem Inneren des Gebäudes sind Stimmen zu hören, jemand ist dort, aber es kommt keine Antwort. Edie schlurft voran, während Bastion wachsam in ihrer Handtasche schnuppert.
»Cecily?«, ruft Joe.
»Hier drin«, antwortet eine barsche Stimme. Joe Spork lächelt und bewegt sich fast im Laufschritt auf das Lesezimmer zu.
Cecily und Bob Foalbury sitzen an dem langen Tisch in der Mitte des Raums, umgeben von Papieren und einem Stapel Plunder. Zwei Gebisse mit falschen Zähnen liegen ausrangiert dazwischen, zusammen mit dem Behälter für ein drittes und einem Teller mit Karamellbonbons. Cecily sieht müde und abgearbeitet aus, lächelt Joe matt an und wendet dann ihren Blick dem großen, freundlichen Feuer im Kamin zu. Der Geruch von Holzrauch steigt von ihm auf, und die knisternden Flammen verleihen dem Saal eine mittelalterliche Anmutung. Joe grinst sie an, auch den Saal, der so ziemlich das komplette Gegenteil ist von dem weißen Zimmer in Happy Acres.
Die Tür hinter ihnen hat sich kaum geschlossen, als Bastion anfängt zu heulen.
»Tut mir leid, kleiner Spork«, sagt Cecily mit gebrochener Stimme und blickt auf. »Er ist hier vor fünf Minuten angekommen.« Bob nimmt ihre Hand, kann aber seinen Kopf nicht heben, so sehr schämt er sich.
»Guten Abend«, sagt eine Stimme leise aus dem Armsessel neben dem Kamin. »Es ist so schön, Sie alle hier zu haben.«
Joe Spork starrt das zerfurchte Gesicht und die tief in den Höhlen liegenden Augen an, den wilden Bart, der jetzt unter dem Kinn im Großwesir-Stil geschnitten wurde, den
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