Der Graf von Monte Christo 2
Unglück in Ihrem Haus immer größer werden wird.«
»Sie wollen mich verlassen, Doktor?«
»Ja, denn ich kann Ihnen nicht weiter folgen und mache nur am Fuße des Schafotts halt. Es wird irgendeine andere Enthüllung kommen, die das Ende dieser schrecklichen Tragödie herbeiführen wird.
Leben Sie wohl!«
»Doktor! Ich beschwöre Sie!«
»Die Schrecken, die meine Seele befl ecken, machen mir Ihr Haus verhaßt. Leben Sie wohl, Herr von Villefort.«
»Ein Wort, nur noch ein Wort! Sie gehen, und mir bleibt das Entsetzen zu tragen, das Sie durch das, was Sie mir eben enthüllt haben, nur noch vergrößert haben. Aber was wird man von dem plötzlichen Tod dieses armen alten Dieners sagen?«
»Sie haben recht«, sagte Herr d’Avrigny, »begleiten Sie mich.«
Der Doktor ging zuerst, Herr von Villefort folgte ihm; die Dienerschaft stand beunruhigt auf den Korridoren und Treppen, wo der Arzt vorbeikommen mußte.
»Herr von Villefort«, sagte d’Avrigny so laut, daß ihn alle hören konnten, »der arme Barrois hat seit einigen Jahren zuviel im Haus gesessen; er, dessen Lust es war, zu Pferd oder Wagen mit seinem Herrn Europa nach allen Richtungen zu durchstreifen, hat sich in diesem einförmigen Dienst bei seinem an den Stuhl gefesselten Herrn den Tod geholt. Das Blut ist zu dick geworden; er war stark und hatte einen dicken, kurzen Hals. Er ist plötzlich vom Schlag getroff en worden, und man hat mich zu spät gerufen.«
Leise fügte er hinzu: »Gießen Sie ja das Glas Sirup ins Feuer.« Dann ging er, ohne Villeforts Hand zu berühren und ohne noch ein Wort weiter zu sagen, an der weinenden und klagenden Dienerschaft vorbei aus dem Haus.
An demselben Abend erbat die ganze Dienerschaft ihre Entlassung von Frau von Villefort. Kein Bitten, kein Versprechen einer Lohn-erhöhung konnte sie zurückhalten; sie antworteten auf alles: »Wir wollen gehen, weil der Tod im Haus ist.«
Sie gingen, indem sie ihr lebhaftes Bedauern aussprachen, eine so gute Herrschaft zu verlassen, besonders Fräulein Valentine, die so gut, so wohltätig und sanft sei.
Villefort sah bei diesen Worten seine Tochter an. Valentine weinte.
Sonderbar, mitten in der Bewegung, die ihm diese Tränen verursachten, sah er auch seine Frau an, und es war ihm, als ob ein fl üchtiges, fi nsteres Lächeln um ihre dünnen Lippen spielte.
M J
Danglars war in seinem Arbeitszimmer mit dem Monatsabschluß beschäftigt, als ihm der Graf von Morcerf gemeldet wurde. Seit einiger Zeit war dies nicht der Augenblick, den man wählen mußte, wenn man den Bankier bei guter Laune antreff en wollte. Beim Anblick seines alten Freundes nahm Danglars seine majestätische Miene an und setzte sich breitspurig in seinem Sessel zurecht.
Der sonst so steife und würdevolle Morcerf gab sich heute Mühe, freundlich und liebenswürdig zu erscheinen. »Baron«, sagte er, »hier bin ich. Seit langem winden wir uns um unser Wort von früher herum …«
Morcerf erwartete bei diesen Worten das Gesicht des Bankiers sich aufklären zu sehen, aber der Bankier wurde, wenn möglich, noch kälter und starrer.
Morcerf stockte.
»Welches Wort, Herr Graf?« fragte Danglars, als ob er sich vergeblich bemühte zu erraten, was der General sagen wollte.
»Oh«, sagte der Graf, »Sie halten streng auf Form und erinnern mich daran, daß das Zeremoniell beachtet werden muß. Sehr gut.
Verzeihen Sie mir. Da ich nur einen Sohn habe und es das erstemal ist, daß ich ihn verheiraten will, so bin ich noch in der Lehrzeit; nun, ich füge mich.«
Und Morcerf erhob sich mit einem gezwungenen Lächeln, machte Danglars eine tiefe Verbeugung und sagte zu ihm: »Herr Baron, ich habe die Ehre, Sie für meinen Sohn, den Vicomte Albert von Morcerf, um die Hand Ihrer Tochter, des Fräuleins Eugenie Danglars, zu bitten.«
Aber Danglars, statt diese Worte, wie Morcerf erwartet hatte, mit Freude aufzunehmen, machte ein fi nsteres Gesicht und sagte, ohne den Grafen, der stehen geblieben war, zum Sitzen einzuladen: »Herr Graf, ehe ich Ihnen antworte, brauche ich Zeit zur Überlegung.«
»Zur Überlegung!« entgegnete Morcerf, mehr und mehr erstaunt.
»Haben Sie nicht in den bald acht Jahren, die es her ist, daß wir zum erstenmal von dieser Heirat gesprochen haben, Zeit genug zum Überlegen gehabt?«
»Herr Graf«, sagte Danglars, »es geschehen alle Tage Dinge, die Anlaß geben, sich gefaßte Entschlüsse noch einmal zu
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