Der Große Basar: Roman
und ein Kästchen Streichhölzer hervor. Eine Weile saßen sie schweigend da, rauchten, tranken ihren Kaffee und beobachteten vom Dach der Welt aus, wie die Sonne unterging.
»Etwas Schöneres habe ich noch nie gesehen«, sinnierte Arlen.
Derek seufzte und nippte an seinem Kaffee. »Früher dachte ich genauso, aber dieses Fenster ist mittlerweile nur noch die vierte Wand meines Gefängnisses.«
Arlen sah ihn verdutzt an, und Derek wurde rot. »Tut mir leid. Ich wollte dir die Aussicht nicht madigmachen.«
Arlen winkte bloß ab. »Glaub mir, ich kann dich gut verstehen. Wie oft wirst du abgelöst?«
»Früher habe ich einen Monat lang hier oben Dienst geschoben und hatte den nächsten Monat frei«, erwiderte Derek. »Doch dann wurde ich mit der Tochter des Barons in einem stillgelegten Stollen erwischt, und er hätte mir am liebsten die Eier abschneiden lassen. Er tobte, eher würde er sich dem Horc verschreiben, als zuzulassen, dass seine Tochter einen Knecht heiratet. Jetzt sitze ich bereits seit drei Monaten hier oben, ohne abgelöst zu werden. Ich schätze, das Mädchen hatte mittlerweile ihren Monatsfluss, sonst hätten sie mich schon zurückgeholt und einen Fürsorger kommen lassen. Wenn ich Pech habe, darf ich nicht einmal nach Hause, wenn die Station den Winter über geschlossen wird.«
»Und seit drei Monaten hockst du hier mutterseelenallein herum?«, wiederholte Arlen. Er fand diese Vorstellung erschreckend.
»Die meiste Zeit bin ich allein«, bestätigte der Stationshüter. »Ungefähr alle vierzehn Tage kommt ein Kurier vorbei, und Karawanen lagern hier ein paarmal im Jahr. Wochenlang sitze ich nur auf meinem Hintern, und plötzlich muss ich ein Dutzend Wagen und fünfzig Stück Vieh und Lasttiere versorgen. Obendrein für dreißig Begleiter die Quartiere richten, und wenn es ganz dick kommt, wuselt noch irgendein Adliger herum und schnauzt mich an, weil ich keine Zeit für ihn habe.«
»War sie es denn wert?«, fragte Arlen.
Derek gluckste vergnügt in sich hinein. »Stasy Schneyder? Es gibt kein entzückenderes Mädchen auf der Welt, und das kannst du ihr von mir ausrichten. Ich hätte genauso gut der Schwiegersohn des Barons werden können, aber stattdessen hat man mich in die Verbannung geschickt.«
»Kannst du nicht einfach diese Stelle kündigen?«, überlegte Arlen. »Dir eine andere Arbeit suchen?«
Derek schüttelte den Kopf. »In Brayans Gold kriegt man nur die Arbeit, die der Baron einem zuweist. Wenn er bestimmt, dass ich das ganze Jahr über in der Wegestation bleiben muss, nun ja …« Er zuckte die Achseln. »Trotzdem finde ich es immer noch besser, den ganzen Tag lang Selbstgespräche zu führen, als in einem finsteren Minenschacht die Spitzhacke zu schwingen und Angst haben zu müssen, verschüttet zu werden oder zu tief zu graben und einen Zugang zum Horc zu öffnen.«
»Ich glaube nicht, dass diese Gefahr besteht«, meinte Arlen.
»Aber hier oben zu sitzen ist auch allemal sicherer als die Arbeit eines Kuriers«, warf Derek ein. »Was ist eigentlich mit deiner Wange passiert?«
Reflexhaft hob Arlen die Hand und strich mit den Fingern leicht über die Wunde, die der Pfeil des Banditen ins Fleisch gerissen hatte. Bevor er sie genäht hatte, hatte er sie gründlich mit Kräutern behandelt, aber rings um die Verletzung war die Haut stark gerötet und mit Blut verkrustet, so dass die Blessur nicht zu übersehen war.
»Ich wurde von Banditen überfallen, die die Donnerstöcke stehlen wollten«, entgegnete er. »Kurz hinter dem dritten Siegelpfosten, der auf dem Lagerplatz für Karawanen steht.« Auf die Schnelle erzählte er die Geschichte.
Derek gab einen knurrenden Laut von sich. »Du bist mutig wie ein Felsendämon, wenn du so mit einem Donnerstock herumgefuchtelt hast. Du hattest Glück, dass diese Kerle nicht skrupellos genug waren, um dich zu töten. Ein harter Winter nimmt so manchem braven Mann die Hemmungen.«
Arlen zuckte mit den Schultern. »Auf meiner ersten richtigen Kuriertour wollte ich die Fracht nicht kampflos aufgeben. Das hätte meinem Ruf ziemlich geschadet.«
Derek nickte. »Na ja, auf dem letzten Stück Weg wirst du wohl kaum auf Banditen treffen. Am übernächsten Abend bist du in Brayans Gold.«
»Warum dauert es noch so lange?«, wunderte sich Arlen. »Sind wir hier nicht schon dicht unter dem Gipfel? Ich denke, wenn ich die Peitsche knallen lasse, kann ich schon morgen am späten Nachmittag da sein.«
Derek lachte. »Hier oben wird die Luft
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