Der große Bio-Schmaeh
zur sogenannten Stimmungsübertragung von Rind zu Rind kommen, wurde mir erläutert.
»Wir glauben, dass in diesem Fleisch deutlich weniger Stresshormone zu finden sind als bei Massenware«, schlussfolgerte der Tierarzt. Obwohl den Räumlichkeiten auch hier die Energie des Todes anhaftete, war dies doch eine gänzlich andere Welt als in der Fleischindustrie. Der Bauer erklärte mir, dass er nicht nur Tiere aus biologischer Haltung schlachte, sondern dass er auch für konventionelle Bauern tätig werde. Es sei ihm wichtig, dass durch diese dezentrale, regionale Schlachtung auch den Tieren Schmerzen erspart blieben: »Es kommt bei mir nie vor, dass ich ein Tier beim Ein- oder Ausladen an einem Ohr zerre, ihm den Schwanz verdrehe oder gar eine Eisenkette um ein Bein festziehe.« Das alles stünde im Massenbetrieb an der Tagesordnung und ich wusste aus meinen Beobachtungen, dass er recht hatte. Lobbyisten der Lebensmittelkonzerne wenden oft ein, dass es in solchen »Bauernschlachthöfen« – also in regionalen Schlachtbetrieben auf Bauernhöfen – nicht hygienisch genug zugehe. »Das ist Unsinn«, wandte sich der begleitende Tierarzt gegen dieses Vorurteil. »Hier ist die Hygiene einwandfrei. Jeder eingetragene Bauernschlachthof wird regelmäßig von Veterinärmedizinern kontrolliert. Und jedes einzelne Tier wird nach der Schlachtung von einem Tierarzt untersucht. Erst wenn der Arzt den Schlachtkörper freigegeben hat, darf das Fleisch weiterverarbeitet werden.« Der Mediziner nahm eine Kiste mit Innereien aus dem Kühlraum: »Apropos«, sagte er, »diese Woche bin ich zuständig.« Dann begann er, die Organe zu untersuchen.
Nachdem ich aus den Bergen zurückgekommen war, besuchte ich eine Bio-Hühnerbäuerin, die, so wie Bergbauer Josef Z., ebenfalls in der Direktvermarktung tätig ist. Sie schlachtet ihre Hühner selber und liefert an Privatkunden sowie an Bio-Läden der Region. »Ich produziere nur auf Bestellung. Bei mir gibt es keine Ausschussware. Kein Huhn wird weggeworfen«, ließ mich die Bio-Bäuerin wissen. Dieser Unterschied zum Massenmarkt ist bedeutend. »Wir haben sechzehn Schlachttermine pro Jahr und schlachten pro Termin maximal hundert Hühner.« Ich betrat den Schlachtraum: hygienisch einwandfrei, vom Tierarzt kontrolliert und direkt neben dem Stall. »Wir richten das Fleisch nach den Wünschen unserer Kunden her. Das wäre in der Industrie gar nicht möglich.« Sie führte mir vor, was nur menschliche Hände und keine Maschinen können: Sie entfernte Knochen und Knorpeln eines Huhns so, dass ein zusammenhängender Haut- und Fleischmantel übrigblieb. Dabei ging die geübte Bäuerin geschickt vor. Stellen, an denen das Fleisch dünner war, glich sie aus, indem sie anderen, dickeren Stellen Fleisch entnahm. Dann rollte sie das Ganze zusammen. Die Hühnerroulade war fertig: »Die wird morgen ausgeliefert, eine Kundin hat es so bestellt.« Ich fragte nach der Größe ihrer Bio-Hühnerherde. »Wir haben nie mehr als vierhundert Hühner im Stall. Und wir leben ganz gut davon. Unser Futter bauen wir selbst an. Außerdem produzieren wir Getreide und Gemüse.« Vierhundert Hühner im Stall! Das ist weniger als ein Zehntel bis ein Zwanzigstel der Herden, die ich an den meisten Bio TM -Mastbetrieben angetroffen hatte. »Bei uns ist kein Konzern dazwischengeschaltet, deswegen können wir ganz unabhängig wirtschaften«, fand die Bio-Bäuerin den Grund für die Unterschiede in Betriebsgröße und Gewohnheiten. Die Familie konnte sich bisher der Vertragslandwirtschaft entziehen. »Niemand hat uns in der Hand und bestimmt, wie groß wir werden müssen.« Genau dieser Entwicklung, dem Zwang zu wachsen mit all seinen Folgen, wollte sich die Ökolandbaubewegung schon immer entgegenstellen. Biologische Landwirtschaft war als Gegenkonzept zum konventionellen Lebensmittelhandel gedacht. Und jetzt hat sich ausgerechnet dieser die Lorbeeren des Ökolandbaus aufgesetzt. Dabei forderten noch 1989 die Agrarwissenschaftler Thomas Frieder und Rudolf Vögel in ihrem Buch »Ökologische Landwirtschaft 74 « ein klares Nein zur Vertragslandwirtschaft. Dass diese Forderung fester Bestandteil der Bio-Idee ist, weiß auch Hofers Bio TM -Pionier Werner Lampert. In einem Interview, das am zweiten August 2010 durch die Online-Redaktion von »Der Standard« veröffentlicht wurde, sprach er sich medienwirksam gegen den Vertragslandbau aus: »Bauern müssen raus aus der Vertragslandwirtschaft«, wird er zitiert. 75 In der Aufregung vor
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