Der große Blowjob (German Edition)
Arbeit bringt, wir fahren gerade über die Williamsburg Bridge, beschließe ich spontan, den großen Dramatiker und künftigen Begründer seiner eigenen Religion, Seth Krallman, anzurufen. Immerhin ist er der einzige Freund, den ich habe. Die Aussicht von der Brücke aus, auf den Navy Yard im Süden und die Wall Street im Südwesten, ist wirklich eindrucksvoll und gehört zu den spektakulärsten Panoramen, die die Stadt zu bieten hat. Mir gefällt sie aber irgendwie nicht: zu dick aufgetragen für meinen Geschmack.
Ich rufe Seth an, weil ich weiß, dass er erst ein paar Stunden geschlafen hat, aber trotzdem rangehen wird, in der Hoffnung, dass ich ihn in die Agentur einlade, damit er sich dort ein wenig umsieht, als Auftakt sozusagen, bevor ich ihn einstelle. Während sein Telefon klingelt, überlege ich, was ich zu ihm sagen soll: Genau, ich werde sagen, dass ich interessiert bin, ihm seinen Range Rover abzukaufen. Was tatsächlich keine schlechte Idee wäre, fällt mir auf, dann könnte ich morgens im eigenen Wagen zur Arbeit fahren, und ein Parkplatz in der Tiefgarage steht mir laut Vertrag zu. Seth geht nicht ran, nicht zu fassen, also spreche ich ihm auf die Mailbox.
«Hey, Alter. Ich bin’s, Eric. Hab gerade nachgedacht, wir sollten zusammen eine Firma aufziehen oder so was. Ruf mich an.»
Danach gehe ich im Kopf durch, was zurzeit in meinem Leben alles anliegt: Meine Headhunterin ruft ständig wegen eines Jobs im Mittleren Westen an, wir haben einen Pitch für einen neuen Impfstoff gegen Meningitis laufen, und eine weitere Runde Entlassungen verlangt die ungeteilte Aufmerksamkeit von mir und der Personaltante.
Juliette zum Beispiel, die wir eigentlich gestern hätten feuern sollen, als ich zu Hause geblieben bin, um mit meiner «Krise» klarzukommen. Außerdem fällt mir ein, dass ich bei IT anrufen muss, um mein Passwort ändern zu lassen und die Sache mit der Praktikantin zu klären. Sollte sie sich in meine E-Mail gehackt haben, wäre das ebenfalls ein Grund, sie sofort zu feuern. Es verspricht also ein ganz annehmbarer Tag zu werden.
Juliette Chang ist zweiundfünfzig, sie hatte ein paar gute Jahre, doch jetzt ist sie einfach ein alter Klepper, dem die Puste ausgegangen ist. Klingt hart, aber ist nun mal so, und sie kann auch nichts dafür, in dieser Branche sind die Leute einfach irgendwann verbraucht. In den letzten Monaten habe ich mir also angewöhnt, ihr kurz vor Feierabend noch irgendwelche Sachen aufzubrummen, nur um sie auf Trab zu halten. So gegen Viertel vor acht, sie freut sich schon, bald gehen zu können, kreuze ich an ihrer Arbeitsnische auf (in der Regel wagt es niemand, vor mir Feierabend zu machen; wenn ich nicht da bin, wie gestern etwa, ist die Abteilung um Viertel nach sechs wie ausgestorben, doch wenn ich bis Mitternacht im Büro bin, bleiben praktisch alle bis Mitternacht). Ich eröffne ihr zum Beispiel, dass ich gerade einen Anruf von den Typen bei Smirnoff bekommen habe, sie benötigen ein paar Ideen für ein neues Instore-Marketing am Point of Sale, ein lebensgroßer Pappaufsteller schwebe ihnen vor, eine junge Russin mit einer Denkblase über dem Kopf. Bloß wüssten sie noch nicht genau, was in dieser Denkblase drinstehen soll, was dem Mädchen gerade durch den Kopf geht. Ob sie dazu für eine Besprechung morgen früh um acht Uhr ein paar Vorschläge zusammenstellen könnte? Sie unterdrückte dann immer ein Miniseufzen, weil damit klar war, dass sie ihre Pläne für den Abend vergessen konnte, obwohl sie vermutlich ohnehin nichts Aufregenderes vorhatte, als sich zu Hause mit ihrer Katze einen Ruhigen zu machen. Und sagte gleich darauf mit einem strahlenden Lächeln: «Ja, sicher! Das ist doch mal eine witzige Aufgabe!» Ich denke, sie wusste sehr wohl, dass ich nur mit ihr spielte, sie ein bisschen pikste, um zu sehen, ob sie knurren würde, denn das hätte mir gefallen, aber sie ließ sich nie provozieren, die Ärmste. Ab und zu, wenn ich mir der toxischen Wirkung auf ihr Leben bewusst wurde, empfand ich eine Art Mitgefühl für sie, bereute sogar, was ich tat. Aber solche Anwandlungen sind nicht hilfreich dabei, die finanzielle Gesundheit und damit das Wohlergehen der Agentur sicherzustellen.
Auf der Delancey Street hat es offenbar einen Unfall gegeben, deshalb sage ich dem Fahrer, er soll nach rechts in die Bowery abbiegen. Wir fahren nach Norden in Richtung Houston Street, vorbei an den neuen kleinen Hotels und Kunstgalerien, die scharenweise hierherkommen. Ein noch
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